Bernburg und das “konzentrische Schrumpfen” – ein Missverständnis?

Die in Bernburg propagierte Strategie vom “konzentrischen Schrumpfen” dient als Rechtfertigung für die starke Konzentration von Fördermitteln und daraus resultierenden Planungsaktivitäten im Raum zwischen Schloss und Karlsplatz. Doch ist diese Strategie in unserer Stadt überhaupt anwendbar?

Bernburg entwickelte sich, aufgrund seines in unserer Gegend einzigartigen Entstehungsprozesses, im Mittelalter zu einer gespiegelten Doppelstadt. Unterhalb von frühmittelalterlichen Zentren auf den beiden “Bergen” auf dem westlichen und östlichen Saaleufer bildeten sich zwei völlig unabhängige gotische Talstädte auf einst gegenüberliegenden Flussufern heraus. Die Kreuzung zwischen Fluss und Straße bildete die wirtschaftliche Grundlage der beiden Siedlungen.

Aus den jeweils diesen gotischen Städten vorgelagerten “Vorstädten” entstanden ab der Frühen Neuzeit die heutige Bergstadt und der Stadtteil Waldau.

Die Industrialisierung und das neue Verkehrsmittel “Eisenbahn” führte im 19. Jh., nach der technischen Lösung der schwierigen Wasserversorgung, zu einer explosionsartigen Ausdehnung der Bernburger Bergstadt auf der östlichen Saaleseite. Ein neues Stadtzentrum um den Karlsplatz entstand, an das nun auch das Rathaus verlegt wurde.

Aufgrund der Entwicklung zum überregional bedeutsamen Bildungsstandort und der Ansiedlung wichtiger Industriebetriebe kompensierte der auf der Waldauer Seite liegende Stadtteil inzwischen einige Bereiche des entstandenen Ungleichgewichtes. Traditionell nach Westen erschlossen und gut an das aktuell bedeutsamste Verkehrssystem “Straße” angebunden, verfügt er nach dem Niedergang des Eisenbahnverkehrs gegenüber der östlichen Saaleseite über das größere Wachstumspotenzial.

Aufgrund des IBA-Projektes wurde die Schaffung eines weiteren Stadtzentrums im Bereich des Bernburger Schlossbezirks forciert. Hierher war das Bernburger Rathaus im Jahr 1958 willkürlich vom Karlsplatz verlegt worden. Damit kam es erstmals in der Bernburger Geschichte zur Trennung von “Markt” und Rathaus: Während die Entwicklung der Fußgängerzone am Karlsplatz dort einen neuen Marktplatz entstehen ließ, liegt das Bernburger Rathaus im städtebaulich immer noch abgeschotteten Bereich am Theatervorplatz, wo nun, als Ausgleich für den sozialen Funktionsverlust und mithilfe der “Kommunalen Bildungssteuerung”, ein “geistig-kulturelles Zentrum” der Stadt Bernburg entstehen soll.

Bernburg ist schon aus seinem Entstehungsprozess heraus  multizentrisch angelegt. (Kartendaten: © OpenStreetMap-Mitwirkende)
Bernburg ist schon aus seinem Entstehungsprozess heraus multizentrisch angelegt. (Kartendaten: © OpenStreetMap-Mitwirkende)

Somit verfügt Bernburg aktuell über nicht weniger als vier “Stadtzentren” (Altstädter Markt, Karlsplatz, Schlossbezirk, Campus Strenzfeld) und mehrere potenziell als Zentrum fungierende Orte (z.B. in Waldau, Neustadt, um die Martinskirche). Damit stellt sich die Frage, auf welches Zentrum zukünftig überhaupt “konzentrisch zugeschrumpft” werden soll?

Wie schrumpft eine multizentrische Stadt konzentrisch?

Die bisherige Auffassung, Bernburg auf das EINE, postulierte “Stadtzentrum” eindampfen zu können, erweist sich in der Praxis als undurchführbar! Die soziale Verantwortung gegenüber den Bewohnern in peripheren Stadtteilen verbietet das “Abschneiden” ganzer städtischer “Jahresringe” geradezu. Die Umwandlung Bernburgs von einer Stadt zur “Gebietskörperschaft” mit zahlreichen ländlichen Ortsteilen im Jahr 2010 verstärkt diese Tendenz weiter.

Alle bisherigen Ansätze müssen daher in einem integrierten Prozess grundlegend überdacht werden, um die Benachteiligung ganzer Ortsteile aufgrund eines nicht realisierbaren Planungsparadigmas zu vermeiden.

Prinzipskizze (!) für das das "multizentrische Schrumpfen". Verdichtete Stadträume bleiben als Stadtviertel erhalten, zwischen diesen entsteht Raum für Grün. Achtung! Diese Skizze soll keine Planungsgrundlage sein! Die Verteilung der einzelnen Verdichtungsräume kann nur Ergebnis eines integrierten Stadtplanungsprozesses sein! (Kartendaten: © OpenStreetMap-Mitwirkende)
Prinzipskizze (!) für das das “multizentrische Schrumpfen”. Verdichtete Stadträume bleiben als Stadtviertel erhalten, zwischen diesen entsteht Raum für Grün.
Achtung! Diese Skizze soll keine Planungsgrundlage sein! Die Verteilung der einzelnen Verdichtungsräume kann nur Ergebnis eines integrierten Stadtplanungsprozesses sein! (Kartendaten: © OpenStreetMap-Mitwirkende)

Als wichtige Anregung könnte dabei der historische, multizentrische Bernburger Stadtgrundriss dienen, der sich als empirisches System herausgebildet hat.

Die Grenze zwischen den Vierteln der Kernstadt und den ländlichen Stadtvierteln verliert an Bedeutung. (© OpenStreetMap-Mitwirkende)
Die Grenze zwischen den Vierteln der Kernstadt und den ländlichen Stadtvierteln verliert an Bedeutung. (© OpenStreetMap-Mitwirkende)

Die “perforierte Stadt” war in Bernburg bereits Tradition, bevor sie andere Städte überhaupt als zukünftiges Planungsmodell erkannt haben.

Bernburg als “Clusterstadt”? Die Renaissance der Stadtviertel

Den Plot für die Zukunft liefert Bernburgs Geschichte. Autarke Stadtviertel haben hier eine lange Tradition. Dieses Modell ließe sich nun vor dem Hintergrund des demografischen Wandels neu beleben. Dabei kommt es darauf an, Stadtviertel zu robusten “Stadtclustern” weiter zu entwickeln und diese auch jeweils mit einer eigenen “Alleinstellungskultur” auszustatten. Damit könnte bei den bestehenden historischen Stadtzentren begonnen werden, indem man sich die Frage stellt, welches die charakteristischen Merkmale jedes Viertels sind. Zwischen diesen verdichteten Vierteln entstünden vielfältige Möglichkeiten für grüne Freiräume, die auch in die Bergstadt Möglichkeiten vom angesagten “Urban Gardening” bis zur Gestaltung von Parks und Teichsystemen eröffnen würden.

Hier liegt, bei allen Problemen der Bernburger Stadtplanung, die konkrete Chance für unsere Stadt!