Rund um den mittleren Turmschaft des sogenannten Eulenspiegelturmes des Bernburger Schlosses kann man seit einigen Jahren meterlange, vertikal verlaufende Risse beobachten. Nach Erkenntnissen aus Messungen zur Rissüberwachung übersteigt „eine anhaltende Risserweiterung von ca. 1 mm bis 1,4 mm in eineinhalb Jahren […] das Maß der jahreszeitlichen Temperaturschwankungen”.
Im Jahr 2001 wurde das Mauerwerk des Turmes unter anderem durch das Verpressen zähflüssiger Bindemittel („Vernadelung und Hohlraumverpressung“) saniert. Eine endoskopische und materialtechnische Untersuchung erbrachte im Jahr 2014 den Nachweis, dass in den Außenwänden des Turmes zumindest auf Höhe des „Kuppelsaales“ Gips als Bindemittel genutzt wurde. Dieser in unserer Region (z. B. aus dem ehemaligen Gipsbruch in Altenburg) im Mörtel historischer Bauten häufig anzutreffende Stoff hat eine unangenehme Eigenschaft: “In Verbindung mit Calciumhydroxid, wie es in zementösen Stoffen und hydraulischen Kalken enthalten ist, kommt es unter bestimmten Bedingungen zur Bildung der Treibminerale Ettringit und Thaumasit. Problematisch ist dabei, dass diese Minerale durch Einbau großer Mengen Wasser in ihr Kristallsystem unter einer Volumenvergrößerung wachsen. Diese wiederum führt zu Quell-, Treib- und Sprengerscheinungen an den betroffenen Bauwerken” (IAB Weimar). Die durch diesen Prozess entstehenden Schäden können so stark sein, dass bereits sanierte Bauwerke abgerissen werden müssen, wie beispielsweise der Turm der Kirche St. Nicolai in Eilenstedt (Gemeinde Huy).
Treibmineralbildung kann man durch eine chemische Untersuchung von Bohrkernen nachweisen. Da das Gips-Treibmineral-Problem inzwischen weithin bekannt ist, müsste man annehmen, dass man – als Grundlage für die weitere Planung – auch in den „Bereichen mit offenen Rissen“ am Turmschaft des romanischen Bergfrieds des Bernburger Schlosses klärende Untersuchungen vorgenommen hat. Untersucht wurde am Eulenspiegelturm. Doch die auf Anweisung des schon im Jahr 2001 für die Planung der Mauerwerkssanierung verantwortlichen Planungsbüros platzierten Probebohrungen und das auf dieser Basis 2014 erstellte Gutachten ließen überraschenderweise den besonders stark geschädigten Bereich des mittleren Turmschaftes unterhalb des Kuppelsaals aus. Eine Tatsache, auf die das mit der Untersuchung beauftragte „Labor für Baudenkmalpflege Naumburg“, explizit hinwies: „Die insgesamt positiven Befunde hängen möglicherweise mit der Positionierung der Bohrungen zusammen, da diese nicht in Bereichen mit offenen Rissen ausgeführt wurden. Für eine abschließende Bewertung des Mauerwerkzustandes und möglicher Schadensursachen wäre es sinnvoll, von außen etwa in sechs Meter Höhe über dem Erdboden noch eine nach Nordwesten orientierte Bohrung auszuführen und analog der vorliegenden vier zu untersuchen.“
Da mir das Schicksal des Eulenspiegelturmes am Herzen liegt und Instrumentalschüler meiner Frau und ihre Eltern den Bereich unterhalb des Turmes regelmäßig passieren, verschaffte ich mir über das Informationszugangsgesetz Akteneinsicht in die der Stadtverwaltung Bernburg vorliegenden Gutachten. Am 04.02.2016 informierte ich jedes Mitglied des Bernburger Bau- und Sanierungsausschusses einzeln per Brief über die Tatsache der fehlenden Untersuchungen und die Brisanz einer möglichen Treibmineralbildung im Mauerwerk des Eulenspiegelturms. Da keinerlei Reaktionen auf diese Schreiben erfolgten, informierte ich inzwischen auch die Landeskonservatorin Frau Dr. Wendland über die fehlende chemische Untersuchung der „Bereiche mit offenen Rissen“. Trotz der Tatsache, dass inzwischen zahlreiche Bohrungen in diesem Schadensbereich eingebracht wurden, hat man – zumindest bis zum 23.02.2017 – die einfach zu realisierende Prüfung auf Treibmineralbildung in den „Bereichen mit offenen Rissen“ am Turmschaft bisher nicht baubegleitend nachgeholt.
Nach Aussagen des anerkannten Experten Prof. Dr. Zier (Bauhaus-Universität Weimar) zum Bernburger „Eulenspiegelturm“ könnte die mit den Kräften beim Gefrieren von Wasser zu vergleichende Sprengkraft von Treibmineralien den Erfolg konstruktiver Sicherungen infrage stellen: „Es besteht die Gefahr, dass konstruktive Sicherungsmaßnahmen, wie ‚Umschnürungen‘, die kraftschlüssige Verpressung von Rissen oder eine zusätzlich partiell vorgenommene Sicherung mit Spiralankern nicht zum gewünschten Erfolg führt, wenn nicht vorab vollständig untersucht worden ist, ob es aufgrund von Hohlraumverpressungen im Bereich gipshaltiger historischer Mauermörtel zur anhaltenden Treibmineralbildung kommt“.
Es ist mir daher unverständlich, wie man die gegenwärtig durchgeführte Sanierungsmaßnahme am „Eulenspiegelturm“ planen konnte, ohne vorab der Ursache für die Rissbildung gewissenhaft auf den Grund zu gehen!