Dieser Leserbrief wurde von mir am 04.07.2018 bei der Bernburger Lokalredaktion der MZ eingereicht. Nach mehrmaligen Nachfragen wurde der Text in einer veränderten Fassung im MZ-Lokalteil Bernburg vom 27.07.2018 auf S. 13 gedruckt. Hier der eingereichte Text in voller Länge und ohne die Kürzungen der Redaktion. Die Farbe Rot markiert die Streichungen der Reaktion.
Fünf Jahre nach der großen Flut 2013 erschienen mehrere Zeitungsartikel, die sich mit der Katastrophe und ihren Folgen beschäftigten. Inzwischen sinkt das Hochwasser-Risiko- und Gefahrenbewusstsein — auch aufgrund extrem trockener Sommer — in der Bevölkerung wieder ab. Eine im Jahr 2016 veröffentlichte Studie der Universität der Bundeswehr München beschäftigt sich unter anderem auch mit den Bernburger Ereignissen im Jahr 2013. Sie zeigt auf, dass für Verdrängungsprozesse auch die Medien mitverantwortlich zeichnen, wenn mit Bezug auf 2013 Begriffe wie „Jahrhunderthochwasser“ oder gar „Jahrtausendhochwasser“ genutzt werden und man so suggeriert, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Wiederholung des Extremhochwasserereignisses äußerst gering sei. Auch bei dem kürzlich zu diesem Thema veröffentlichten Interview mit Henry Schütze hieß es in der MZ, dass es sich 2013 um die „schwerste Überschwemmungskatastrophe seit vier Jahrhunderten“ gehandelt habe. Am 05.06.2013 erreichte der Wasserstand am Bernburger Richtpegel in Halle-Trotha den Wert von 8,10 m. Dieser Wert wurde dort in den letzten 400 Jahren 15 Mal übertroffen, im Jahren 1799 und 1890 stand der Pegel hier sogar bei über 10 m!
Im Gegensatz zur DDR, wo Großschadensereignisse als eine Form des „Staatsversagens“ betrachtet und daher meist schnell unter den Tisch gekehrt wurden, sollte zeitgemäßer Katastrophenschutz das Risiko- und Gefahrenbewusstsein in der Bevölkerung aufrecht erhalten. Gerade in trockenen Sommern, wie dem gegenwärtigen, wäre es daher notwendig, das Sandsackstapeln öffentlichkeitswirksam zu üben. Wer einmal einen Vortrag des Kölner „Hochwasser-Papstes“ Reinhard Vogt erleben durfte, weiß, wie wichtig jährliche Hochwasserübungen mit der Bevölkerung (!) sind und dass Spundwände und mobile Barrieren erst im Zusammenwirken mit dem aktiven nicht-baulichen Hochwasserschutz der Einwohner ihre volle Wirkung entfalten können.
Ob es intelligent ist, gerade dort Dämme und Mauern zu errichten, wo sich die hochwasserführende Saale im Jahr 2013 ein „Sicherheitsventil“ zur Umgehung der Bernburger Staustufe inklusive Schleuse geschaffen hatte, wird sich beim nächsten Extremhochwasser zeigen. Gegenwärtig spricht offenbar niemand mehr davon, der Saale wieder Raum zu geben, wie es der Leiter des Geschäftsbereichs “Grundlagen, Planung und Bau” beim Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft, Herr Dr. Hans-Werner Uhlmann, in einem Schreiben vom 30.07.2013 einforderte, als er bezüglich der historischen Bernburger Saale-Umflut formulierte, dass: „Langfristig an dem Ziel einer ausreichenden Durchströmung des Altarmes durch eine breite Mulde festgehalten werden soll“.
Im Jahr 2013 waren es vor allem junge Menschen, die mit ihrem unermüdlichen Einsatz die Bernburger Talstadt retteten. Während die behördliche Kommunikation und Koordination an vielen Orten zusammenbrach, organisierten sich die freiwilligen Helfer über soziale Netzwerke — wo von privaten Aktivisten im 24-Stunden-Dienst Hochwasser-Infoseiten und interaktive Google-Maps-Karten gepflegt wurden — weitgehend selbstständig.
Am Beispiel mangelhafter Informationen zur Hygiene beim Hilfseinsatz, zum Auspumpen von Kellern oder zu den Schulschließungen manifestierte sich im Jahr 2013 das Chaos im amtlich organisierten Katastrophenschutz. Die Naivität in den Worten: „es ist nichts in Sicht, was zur Beunruhigung Anlass gibt“, mit denen die zuständige Leiterin des Fachbereichs III beim Salzlandkreis, Frau Reingard Stephan, in einem MZ-Artikel vom 28.05.2013 zum starken Anstieg des Hochwasserpegels in Bernburg zitiert wird, nachdem Fachleuten längst klar war, dass eine Standard-Wetter-Situation für ein außergewöhnliches Extremhochwasser an der Saale bestand, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe am 27.05.2013 auf die Hochwassergefahr — auch für die Saale — hingewiesen hatte und in den Medien bereits am 25.05.2013 vor weiteren Starkniederschlägen gewarnt wurde, macht ein „Systemversagen“ deutlich.
Dass der Salzlandkreis immer noch nicht über den von Frau Stephan bereits für das Jahr 2014 angekündigten einheitlichen Gefahrenabwehrplan Hochwasser verfügt, lässt offenbar darauf schließen, dass es Verantwortlichen an unterschiedlichen Stellen in der Verwaltung erneut an Risiko- und Gefahrenbewusstsein mangelt. Die oben erwähnte Studie kritisiert für das Jahr 2013 genau jene Konstellation, in der wir uns 5 Jahre nach der großen Flut anscheinend schon wieder befinden, wenn es dort heißt: „Die Auswertung der qualitativen Fallstudien offenbart Defizite in der Informationspolitik während der akuten Hochwasserkatastrophe 2013, die in Kombination mit einem lediglich gering ausgeprägten Risikobewusstsein bei den verantwortlichen Akteuren und Betroffenen dazu beigetragen haben, dass Schäden entstanden sind, die sich als vermeidbar erwiesen.“