Leserbrief “Wehr wird bei Hochwasser zum Flaschenhals” vom 01.07.2016

Rückstau-Wehr

Zum MZ-Artikel “Schutzring um die Talstadt” vom 17. Juni, Seite 9:

In meinem vor einem Jahr, am 26. Juni, in der MZ veröffentlichten Leserbrief zur Informationsveranstaltung “Hochwasserschutz” mit dem Direktor des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt, Herrn Burkhard Henning, äußerte ich die Hoffnung, dass die für Bernburg bei Extremhochwassern wichtige Umflutmulde über die Röße und den Waldauer Anger wieder instand gesetzt wird.

Damals hatte Herr Henning öffentlich angekündigt, sich persönlich dieses Anliegens anzunehmen. Ein Jahr später soll nun die erhebliche Summe von 5,5 Millionen Euro in den Bernburger Hochwasserschutz investiert werden. Die historische Flutmulde spielt aber offenbar leider bei diesen Planungen bisher erneut keine Rolle.

Ein Bauzaun am Saaleufer oberhalb des Wehres zeigt die Höhe des Wasserstandes in diesem Bereich an. Treibgut kennzeichnet die Durchströmung in diesem Bereich. Hier führt der Rückstau des Wehres zu einer teilweisen Verlagerung des Stromes in den Altarm. Foto vom 21.06.2013.
Ein Bauzaun am Saaleufer oberhalb des Wehres zeigt die Höhe des Wasserstandes in diesem Bereich an. Treibgut kennzeichnet die Durchströmung in diesem Bereich. Hier führt der Rückstau des Wehres zu einer teilweisen Verlagerung des Stromes in den Altarm. Foto vom 21.06.2013.
Gegenüber dem Bauzaun zeigen weiträumige Ablagerungen von Treibgut im Zaun des Bernburger Tiergartens die Strömungstätigkeit in diesem Bereich an. Hier wird die Strömung vom Wehr in den Altarm gedrückt. Foto vom 30.06.2013.
Gegenüber dem Bauzaun zeigen weiträumige Ablagerungen von Treibgut im Zaun des Bernburger Tiergartens die Strömungstätigkeit in diesem Bereich an. Hier wird die Strömung vom Wehr in den Altarm gedrückt. Foto vom 30.06.2013.
Ein Teil des Stromes umging das Wehr und floss hier am Rosenhag vom Oberlauf direkt in den Unterlauf. Foto vom 30.06.2013.
Ein Teil des Stromes umging das Wehr und floss hier am Rosenhag vom Oberlauf direkt in den Unterlauf. Foto vom 30.06.2013.

Jahrhundertelang bildete die Kombination aus Mauer und Graben das bauliche Hochwasserschutzsystem der mitten im Flusstal der Saale aus zwei Teilen zusammengewachsenen historischen Bernburger Inselstadt. Das dabei praktizierte Konzept, die zerstörerische Strömung des hochwasserführenden Flusses aus der Siedlung herauszuhalten und sonst das Wasser möglichst ungehindert fließen zu lassen, war auch bei höheren Pegelständen als 2013 offenbar schon relativ erfolgreich. Dass nun die seit Jahrzehnten vernachlässigte Stadtmauer wieder repariert und ergänzt wird, ist auf jeden Fall eine gute Sache. Wunder sollte man aber nicht erwarten. Warum an bestimmten Stellen Spundwände metertief in das Flusstal getrieben werden sollen, während man in anderen Abschnitten offenbar komplett auf diese Maßnahme verzichten möchte, wurde bisher nicht klar. Ohnehin hätte der Versuch, die gesamte Talstadt unterirdisch “abzudichten” gravierende Folgen, denn der wassergesättigte Auenlehmboden würde bei einem so großflächigen Eingriff in den Grundwasserhaushalt seine statischen Eigenschaften verändern. Weiterhin kann aufgrund archäologischer Grabungen und schriftlicher Hinweise angenommen werden, dass viele historische Bauwerke der Talstadt auf Holzkonstruktionen gegründet sind. Auch hier hätte ein langfristiger Eingriff in den Grundwasserkörper unabsehbare Folgen. Zu guter Letzt sollte beachtet werden, dass Flüsse in Tälern auch unterirdisch fließen. Wie wird diese unterirdische Strömung, welcher derzeit noch die gesamte Breite der Talsohle zur Verfügung steht, im Hochwasserfall reagieren, wenn ihr nun der Weg im Boden teilweise versperrt wird? Ist es überhaupt möglich und sinnvoll, aus der Talstadt einen “Topf” zu machen? Jeder, der für den Erhalt der Bundeswasserstraße Saale Staustufen im Fluss befürwortet, sollte auch zur Verantwortung für die ökologischen Folgen dieser Bauwerke stehen. Das Bernburger Wehr wird im Fall von Extremhochwassern zum Flaschenhals. Die Staustufe wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert und erhöht, um ihre Wirkung zu verstärken. Auf Hochwasser wurde dabei keine Rücksicht genommen, denn die “historische Umflut” über den Waldauer Anger bildete das notwendige “Sicherheitsventil”.

Noch beim Hochwasser 1947 konnte sie vom Fluss ungehindert durchströmt werden, wie ein Augenzeuge in einem Artikel in der “Freiheit” vom 17. März 1947 beschreibt: “Die Röße ist wieder zum reißenden Saalearm geworden, durch den sich die Wasser in eilendem Zuge in die Große Aue wälzen.” Diese wichtige Funktion der historischen Flutmulde wurde in den vergangenen 65 Jahren durch Unkenntnis zerstört. 2013 kam es deshalb aufgrund der durch den Rückstau des Wehres verursachten Differenz von 57 Zentimetern zwischen Ober- und Unterpegel zu starken Abflüssen über das Tierparkgelände. Durch dieses “Wildwasser” wurde die Saalehalbinsel von der Außenwelt abgeschnitten und das unkontrolliert überströmte Gebiet verwüstet. Dem Leiter des Geschäftsbereichs “Grundlagen, Planung und Bau” beim Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft, Hans-Werner Uhlmann, war die wichtige Funktion der historischen Bernburger Umflutmulde offenbar nach dem Hochwasser 2013 durchaus bewusst, als er in einem Schreiben vom 30. Juli 2013 ausführte: “Langfristig sollte an dem Ziel einer ausreichenden Durchströmung des Altarmes durch eine breite Mulde festgehalten werden (verantwortlich Stadt Bernburg).”

Die Notwendigkeit und Verantwortlichkeit einer Bernburger “Wehr-Umflut” liegen also Schwarz auf Weiß vor. Doch warum setzen die Entscheider nun nicht zunächst die Priorität, dem Fluss seinen Raum wiederzugeben, bevor ihm neue Hindernisse in den Weg gestellt werden? Es bleibt zu hoffen, dass es der neuen Barriere besser als den im Jahr 2011 zwischen den Bögen der Flutbrücke aufgeschichteten Sandsäcken gelingt, sich gegen die entfesselte Macht der Saale zu stemmen. Noch besser wäre es aber, dieser geballten Energie möglichst auszuweichen. Meiner Meinung nach hat man im Bernburger Rathaus, welches nun bald seit 100 Jahren weit oberhalb des hochwassergefährdeten Gebietes liegt, noch nicht erkannt, dass Wasser stärker als Stein ist.
Olaf Böhlk, Bernburg