Das Geheimnis der Blasiuskirche
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Der kleine Ort Altenburg, auf halber Strecke zwischen Bernburg und Nienburg gelegen, verfügt über eine bemerkenswerte Vergangenheit. Heute fährt man mit dem PKW auf der Straße von Bernburg nach Nienburg durch das Dorf und nimmt dabei kaum seine geschichtsträchtigen Plätze war. Noch vor 170 Jahren endete hier in Altenburg bei einem etwas höheren Wasserstand der Bode oder Saale die Weiterreise auf der Straße. Nach Nienburg führte dann nur ein Fußweg durch die Aue und die Flussarme der Bode mussten auf hölzernen Stegen überwunden werden. Wenn das Wasser noch höher stieg, wurde der Verkehr zwischen Nienburg und Altenburg mit einem Kahn aufrechterhalten. Erst im Revolutionsjahr 1848 wurde der heutige Straßendamm fertiggestellt und Altenburg somit zur hochwassersicheren Durchreisestation[1](Siebigk 1867, S. 554).
Auf den ersten Blick erscheint Altenburg als ein Dorf, wie es viele hier in der Region gibt. Die romanische Dorfkirche St. Blasius erinnert in ihrer Form an die benachbarte Waldauer Pfarrkirche St. Stephan. Sie entspricht mit ihrer Untergliederung in Querwestturm, Schiff, eingezogenem Sanktuarium und halbrunder Apsis der Idealform einer romanischen Dorfkirche[2]http://userpage.fu-berlin.de/engeser/teltow/baugeschichte/baustruktur.htm. Im Vergleich zu Waldau erscheint der Turm aber deutlich weniger rechteckig, eher quadratisch.
Eine Erklärung für die größere Tiefe des Turmes findet sich in seinem Inneren. Wenn man den schmalen Mauerdurchbruch vom Kirchenschiff durchschritten hat und im hohlen Turm-Innenraum nach oben blickt, fällt in der südöstlichen Ecke eine im Viertelkreis gemauerte, auskragende Konstruktion auf. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich diese als romanischer Eckkamin mit rundem Mantel. Der Kamin „schwebt“ heute im Raum. Balkenlöcher am Fuß seiner Auslagen deuten aber auf eine ehemalige Geschossdecke hin.
Der Kamin gehörte folglich zu einem Wohnraum, der sich im ersten Obergeschoss des Turmes befand. Er wurde von zwei kleinen rundbogigen Fenstern in der Süd- und Westwand belichtet. Betrachtet man nun auch das Äußere des Turmes etwas genauer, fällt in seiner Nordwand, ebenfalls in der Höhe des 1. Obergeschosses ein rundbogiger Zugang auf.
Kamin und erhöhter Zugang sind bekannte Kennzeichen von zumindest zeitweise bewohnbaren Bergfrieden oder besonders befestigten Wohntürmen. Wir haben es beim Turm der Altenburger Pfarrkirche also mit dem repräsentativen Teil einer Burg zu tun. Die deutlich erkennbare vertikale Baufuge auf der Westseite und der in diesem Bereich unterbrochene Sims unterhalb der rundbogigen Schalllöcher deuten an, dass am Turm mehrere Bauphasen zu unterscheiden sind.
Die Besonderheiten des Turmes der Altenburger Kirche beschrieb schon Franz Büttner Pfänner zu Thal in seinem Werk „Die Kunstdenkmale der Kreise Ballenstedt, Bernburg, Köthen, Dessau, Zerbst“[3](Büttner Pfänner zu Thal, Franz 1998, S. 133). Er wies noch darauf hin, dass einst im benachbarten Grundstück des Bauern Kunze weitere Reste einer ehemaligen Verteidigungsanlage sichtbar gewesen wären. Leider lassen sich aber bis zur Gegenwart keine weiteren Aussagen treffen. Vor allem kann derzeit nicht geklärt werden, in welcher Beziehung der Wohnturm zu dem sich östlich von ihm erhebenden Kirchenschiff steht. Dort haben sich die romanischen Teile östlich des Triumphbogens erhalten. Direkt an romanische Sakralräume angrenzende Wohnbauten finden sich normalerweise bei Burg- oder Pfalzkapellen. Dort tritt auch häufig ein Zugang aus dem Wohn-Obergeschoss zu einer dann vielerorts im Kirchenschiff vorhandenen Westempore auf. Wenn eine solche auch in Altenburg vorhanden war, hätten wir eine ehemalige Burgkapelle vor uns. Beim Mauerwerk des Altenburger Kirchenschiffes ist aber die Datierung nicht ohne Weiteres möglich. Gerade bei diesem Bauwerk würde eine bauarchäologische Untersuchung also sicher interessante Erkenntnisse liefern. Die Klärung der Baugeschichte könnte auch eine wichtige Grundlage für die angesichts der zahlreichen Rissbildungen dringend notwendige statische Sicherung des Gebäudes sein.
Mit der Altenburger Blasiuskirche haben wir nicht nur ein einzigartiges Denkmal der Kombination romanischer Wehr- und Sakralarchitektur vor uns, der Kirchenbau stellt auch ein bedeutendes Zeitzeugnis für die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges in der Bernburger Region dar. Wenn sich 374 Jahre nach ihrer Zerstörung im Jahr 2018 der Ausbruch dieses verheerenden Großkonfliktes zum 400. Mal jährt, wäre darüber nachzudenken, ob man die verkehrsgünstig gelegene Altenburger Dorfkirche nicht zu einem würdigen Erinnerungsort gestalten sollte. Immerhin stand diese Gegend einst für einen bestimmten Zeitabschnitt im Zentrum der Kampfhandlungen. Die Altenburger Kirche wurde dabei schwer beschädigt[4](Stieler 1931, S. 59). Sie ist noch heute von den Narben dieser Zerstörung gezeichnet, bietet aber auch gleichzeitig ein eindrucksvolles Zeugnis dafür, dass die Einwohner der Region mit dem Wiederaufbau ihrer zerstörten Dörfer den Willen zum Ausdruck brachten, die verheerenden Folgen des Krieges zu überwinden.
Franz Stieler beschreibt in seiner Arbeit „Gallassische Ruin“ tagesgenau die Kampfhandlungen um den 19. September 1644, bei denen auch das Dorf Altenburg schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Bis zur Aufgabe des kaiserlichen Lagers am 12. November lag Altenburg immer wieder zwischen den Fronten und wurde dabei, wie andere Orte in der Bernburger Umgebung, völlig dem Erdboden gleichgemacht[5](Stieler 1931, S. 80). Das Leid und Elend, welches die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges gerade über die Dörfer des Bernburger Umlandes gebracht hat, verdienen ein Gedenken an diesem authentischen Ort. Dem Altenburger Kirchenbau würde damit gleichzeitig eine Nutzungsperspektive gegeben, die den Erhalt dieses bedeutenden Denkmals nachhaltig sichern könnte.