Verschüttete Geheimnisse – Wie sah der Kaiplatz vor 150 Jahren aus?

Wer kennt nicht den Bernburger Kaiplatz? Ob mit dem Auto oder zu Fuß, an diesem wichtigen Ort am Saaleufer kommt kein Bernburger vorbei.

Als die Saale noch aktiv zum Gütertransport genutzt wurde, lag hier ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt zwischen Fluss und Straße.

Auf der gegenüberliegenden Mühleninsel schlug seit 1219[1]Auf den Spuren der Gotik – Begleitband zum Kolloquium Stadtgeschichte im Spannungsfeld – Bernburgs Weg zur frühneuzeitlichen Residenzstadt der Fürsten von Anhalt Bernburg: Förderer … Continue reading das „frühindustrielle“ Herz der Stadt Bernburg.

Die Produktion von Getreide, seine Verarbeitung und sein Export sind auf das Engste mit der Geschichte unserer Stadt verbunden. Die derzeit leerstehende Bernburger Saalemühle böte sich deshalb in einzigartiger Form dafür an, das von Ottomar Träger ab 1970 erarbeitete Konzept eines Mühlenmuseums, erweitert um die Themen Landwirtschafts- und Industriegeschichte, hier fortzuführen.

Auch am späteren Kaiplatz veränderte der 30-jährige Krieg das Aussehen und die Funktion der angrenzenden Stadtviertel grundsätzlich.

Im späten Mittelalter reichten die in Fachwerkbauweise errichteten Wohnhäuser bis dicht an die Stadtmauer heran.

Diese Situation wird sehr anschaulich im Epitaphgemälde der Fürstin Agnes von Barby (1540-1569) von Lucas Cranach d. J. (1515-1586) in der Klosterkirche Nienburg aus dem Jahr 1570 dargestellt.

Ausschnitt aus dem im Jahr 1570 entstandenen Epitaphgemälde der Fürstin Agnes (von Barby) (1540-1569) von Lucas Cranach d. J. in der Klosterkirche Nienburg. Die älteste bekannte Abbildung der Stadt Bernburg.

Besonders interessant ist die Abbildung der sogenannten „Krumbholzpforte“ in der Stadtmauer mit ihrem Torhaus.

Nach schwerwiegenden Zerstörungen im 30-jährigen Krieg entstanden an der Ufermauer im 19. Jahrhundert Speichergebäude. Vor allem die Fährgasse wurde nun zum Hafengelände an der Saale.

Blick auf die Saalemühle vor dem Brand im Jahr 1879. Aus Bernburger Kalender, 1929, S.116

Einen großen Einschnitt für das Gelände am Kaiplatz brachte der Bau des Bernburger Kurhauses, welches am 8. November 1902 der Öffentlichkeit übergeben wurde[2]Siehe dazu den Internet-Artikel „100 Jahre Kurhaus Bernburg“ .

Im Zuge der Neuanbindung dieses Komplexes wurden umfangreich Erdarbeiten notwendig und das Areal am ehemaligen Saaleufer um mehrere Meter angehoben. Die bisher vorhandene Stadtmauer versank so im Boden.

Der ursprüngliche Verlauf der Stadtmauer war auf einem Plan der Stadt Bernburg aus dem Jahr 1860 ersichtlich.

Der Kaiplatz - Ausschnitt aus dem Situationsplan der Stadt Bernburg (1860), Reproduktion: Museum Schloss Bernburg

Dieser Verlauf konnte nun im Zuge mehrerer Bauarbeiten im vergangenen Jahr bestätigt werden.

Rekonstruktion des Stadtmauerverlaufs und der Lage des jüdischen Friedhofes am Kaiplatz. Grafik: Olaf Böhlk, Luftbild mit freundlicher Genehmigung von Steffen Mainka

Ehemalige Ufermauer im Bereich des Kurhauses bei den Bauarbeiten am 09.06.2011

Zunächst wurde bei Tiefbauarbeiten in der Nähe des Kurhauses am 09.06.2011 ein Eckfragment der ehemaligen Ufermauer angeschnitten, welches mehr als 4m tief in den Boden reichte.

Dieses Fragment bildete den ersten Hinweis auf den Verlauf der ehemaligen Stadtmauer in diesem Bereich und die dort stattgefundenen massiven Erdaufschüttungen.

Der Fund bestätigte ebenfalls erstmals den Mauerverlauf auf dem Plan von 1860.

Einen weiteren Hinweis über Korrekturen in diesem Bereich der Ufermauer kann jeder Benutzer des neuen Uferweges unterhalb der heutigen Kaimauer ausmachen. Dort zeichnet sich nämlich eine deutlich sichtbare Mauerfuge ab, die den Beginn der nach 1860 errichteten neuen Kaimauer anzeigt. Die alte Mauer verschwindet hinter dieser Wand im Boden.

Übergang von der alten zur neuen Kaimauer am Uferweg.

Einen Höhepunkt bei der Erkundung dieses Stadtmauerabschnittes bildete die archäologische Freilegung im Bereich vor der Einmündung des Buschweges am 01.09.2011 durch Mitarbeiter des Anhaltischen Fördervereins für Naturkunde und Geschichte e. V.

Ausgrabung Stadtmauer im Bereich der Einmündung Buschweg durch Katharina Heilmann (Anhaltischer Förderverein für Naturkunde und Geschichte e. V.) am 01.09.2011 Foto: Olaf Böhlk mit freundlicher Genehmigung des Anhaltischen Fördervereins für Naturkunde und Geschichte e. V.

Mit der Freilegung des Mauerverlaufs im Bereich des Vorgartens der ehemaligen kinderpsychiatrischen Klinik wurde klar, dass die Futtermauer auf der ehemaligen Stadtmauer errichtet wurde.

Die Futtermauer des Vorgartens der ehemaligen kinderpsychiatrischen Klinik wurde auf der Stadtmauer errichtet.

Auch die im Plan von 1860 eingetragene Richtungsänderung der Stadtmauer vor der heutigen Einmündung des Buschweges entsprach der Realität.

Die Richtungsänderung der Mauer vor der Einmündung Buschweg entsprach der Planzeichnung von 1860.

Zusammenfassung

Zur Entstehungszeit des Situationsplanes der Stadt Bernburg, im Jahr 1860, bestand im Bereich des heutigen Kaiplatzes eine völlig andere Situation, als wir sie heute erleben können.

Den Platz, wie er sich derzeit darstellt, gab es nicht. Stattdessen verlief die Stadtmauer in engem Abstand vor den Fassaden der angrenzenden Hausgrundstücke, wie auf dem Epitaphgemälde aus dem Jahr 1570 dargestellt.

Der heutige Kaiplatz entstand, wie das gesamte hochwassergeschützte Areal um das Kurhaus, durch erhebliche Aufschüttungen.

Auch die Gestaltung der Einmündung im Bereich des Buschweges wurde grundlegend verändert.

Der jüdische Friedhof, dessen Existenz hier durch archäologische Befunde im Juli 2011 nachgewiesen werden konnte, befand sich, zumindest im Jahr 1860, innerhalb der Stadtmauer!

Für die freundliche Bereitstellung des Luftbildes bedanke ich mich bei Steffen Mainka (www.fotofliegen.de).

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Fußnoten

Fußnoten
1 Auf den Spuren der Gotik – Begleitband zum Kolloquium Stadtgeschichte im Spannungsfeld – Bernburgs Weg zur frühneuzeitlichen Residenzstadt der Fürsten von Anhalt Bernburg: Förderer der Kulturstiftung e.V., 2011, S. 76
2 Siehe dazu den Internet-Artikel „100 Jahre Kurhaus Bernburg“