“Reformationsstadt muss sich dringend reformieren” – MZ-Leserbrief vom 22.01.2016

Erschienen am 22.01.2016

Reformationsstadt muss sich dringend reformieren
Zum Beitrag “Bernburg wird wichtiger Titel verliehen”,
MZ vom 11. Januar:

Bernburg ist nun eine “Reformationsstadt Europas”! Wir Bernburger haben Kreisoberpfarrer Schmidt für den Mut zu danken, dass er den Hut für unsere Heimatstadt auf europäischer Ebene in den Ring geworfen hat. Von ihm könnten einige Entscheidungsträger noch etwas lernen, denn Bernburg ist mehr als eine Industriestadt. Bernburg ist – historisch und touristisch gesehen – oberste Liga! Weithin sichtbares Symbol dieser herausragenden Bedeutung ist das Schloss, eines der Top-Fotomotive unseres Bundeslandes und dennoch für viele Gäste immer noch ein verborgener Schatz.

Um diesen Schatz für Bernburg zu heben, braucht es den Mut, etwas zu wagen, die Ärmel hoch zu krempeln und die Schaufel in die Hand zu nehmen. Die Burg, das historische Fundament der Saalestadt, könnte auch für ihre Zukunft wieder sehr wichtig werden. Nämlich dann, wenn sie unserer Stadt einen weithin bekannten, stolzen und klingenden Namen verleiht. Touristen, Politiker und Wirtschaftsleute in ganz Deutschland und darüber hinaus würden Bernburg an der Saale kennen lernen, als jenen Ort mit dem Askanierschloss, der sich Wappentier und Namen mit der Stadt Bern in der Schweiz teilt, der – und das ist neu – als weltweit einzigartiges Denkmal der Fürstenreformation und Wiege der beiden historischen Länder Sachsen und Anhalt gelten kann!

Bernburg bildet – verkehrstechnisch und thematisch – eine Brücke zwischen Wittenberg und Quedlinburg, Magdeburg und Halle. Unser Schloss nimmt also für Sachsen-Anhalt die Schlüsselposition als zentrales Drehkreuz ein. Vielleicht bringt der Tourismus unter dem Strich den öffentlichen Kassen kein dickes Plus. Aber wie viel Menschen profitieren schon von den Gästen? Wie viel kulturelles Leben, wie viele Restaurants und Cafés gibt es, die beispielsweise in Quedlinburg nur über die Einnahmen aus dem Tourismus erhalten werden können? Künstler und Vielfalt leben von den Gästen!

Internationales Flair, die Nähe zur Natur, verkehrsgünstige Lage und ein innovatives Stadtmanagement, das zieht junge Menschen zum Bleiben an. Städte wie Leipzig machen es uns vor: Tourismusmarketing ist Wirtschaftsmarketing, ist Stadtmarketing!
Es geht eben nicht darum, Bernburg zu einem Schlachthaus Europas zu machen, um so auch in Zukunft Freizeiteinrichtungen für die “Werktätigen” finanzieren zu können. Stattdessen gilt es in Bernburg, von der millionenschwer geförderten Freizeitwirtschaft auf Tourismuswirtschaft umzuschalten, das Angebotsprofil an den Markt anzupassen und – wie Kreisoberpfarrer Schmidt – Mut zu wagen.

Seit Jahren werden ohne tragfähiges Konzept horrende Beträge in das Schloss gebuttert. Das Museum dort, von seinem Direktor selbst in einem MDR-Beitrag aus dem Jahr 2015 als “Gemischtwarenladen” bezeichnet, verfügt inzwischen über eine extrem ausgedünnte Personalausstattung und gibt in der Dauerausstellung kaum Auskunft zur herausragenden historischen Bedeutung des Schlosses und seiner fürstlichen Bauherren. Was ist aus dem Stadtratsbeschluss vom 14. April 2011 geworden, den Christians- und barocken Zwischenbau zu einem modernen Ausstellungsgebäude zu machen? Wo bleibt – ein Jahr vor dem Reformationsjubiläum – die von Oberbürgermeister Schütze geforderte “Bündelung aller Kräfte”, um dieses Ziel zu erreichen? Im Rathaus tagt schon seit 2014 die Arbeitsgruppe “Reformation”, ohne dass es bisher zu nennenswerten strategischen und nachhaltigen Entscheidungen gekommen ist. Währenddessen verlieren immer mehr Bernburger Gastronomen und Hotelbetreiber den Glauben an die Zukunft, wo es doch gerade sie sind, auf die wir beim Tourismus bauen müssen! Die “Reformationsstadt” Bernburg muss sich also dringend reformieren! Dafür braucht es deutlich mehr Mut, neue Wege zu gehen und es braucht das Verständnis der Bernburger, dass Geld investiert werden muss, welches bei sinkenden Fördermitteln nur durch Umschichtung und durch unser aller Engagement aufgebracht werden kann.