
Im Jahr 1953 erschien in der ersten Ausgabe der neuen Reihe „Bernburger Heimathefte“ der Aufsatz „Die Leuchte des Bernburger Schlosses“ von Franz Stieler. [1]Stieler 1953. Den Auftakt seiner Arbeit bildet ein Abschnitt unter der Überschrift „Der Irrtum“. Dort setzte sich Stieler mit einem populären Fehler bei der Bezeichnung des prominentesten Bernburger Bauwerkes auseinander. Als Ausgangspunkt der Fehldeutung identifizierte er Johann Christian Beckmann, der in seiner 1710 erschienenen „Historie des Fürstenthums Anhalt“[2]Beckmann1710, III. Teil, Seite 124 zum „Lange Haus“ ausführte: „…davon ist das Teil gegen Westen samt den beiden Leuchten a. 1538 von F. Wolfgang erbauet worden…“. Stieler konnte nachweisen, dass Beckmann den folgenden Passus aus dem Salbuch des Amtes Bernburg (1640): „…den ersten Teil gegen Abend mit 2 runden Auslagen, die Leuchten genannt,…“ falsch interpretiert hatte und sich der Name „Leuchte“ nicht nur auf die beiden Ecktürme, sondern auf das gesamte Gebäude bezog. Er schrieb dazu: „Wie der Bernburger Sprachgebrauch beweist, ging noch im 17. Jahrhundert der Nominativ ‚Leuchte‘ in die Flexionsform ‚Leuchten‘ über. Die vier Fälle des Singulars, vielfach aus den Akten belegt, boten sich dar wie folgt: die Leuchte, der Leuchteren, der Leuchten, die Leuchten – eine sprachliche Erscheinung, die später Irrtümern die Tür öffnete.“[3]Stieler 1953, S. 5. Stieler leitete die Bezeichnung „Leuchte“ von dem Fensterreichtum des Gebäudes und seiner weit in das Tal ausstrahlenden Wirkung her: „Bevor man den Westteil des Schloßlanghauses am Ende des 17. Jahrhunderts rücksichtslos und ohne Geschmack verbaute, strahlte er in feiner architektonischer Gliederung, auf steilem Felsen dicht an die Saale herangeschoben, Tag und Nacht als ‚Leuchte‘ weit über Tal und Hügel.“[4]Ebenda. Der auf seine „Ausstrahlung“ anspielende Name des Bauwerks könnte sich aber auch auf eine andere Eigenschaft beziehen: seine Farbgestaltung.
Einen Hinweis auf die mehrfarbige Fassung der bauzeitlichen Fassade erlaubt der Fund eines Steines mit anhaftenden Putzresten, der vermutlich vom einstigen Ostgiebel der „Leuchte“ stammt und eine aufgemalte, geometrische Gestaltung in Grau, Schwarz und Weiß aufweist.[5]Schneider 2008, S. 121. Auch in den Baurechnungen wurden Farben wie „Steinfarbe, Berggrün und Silberweiß“ erwähnt.[6]Stieler 1954, S. 13. Der Begriff „Leuchten“ ist in der Heraldik im Zusammenhang mit kontrastreicher Farbigkeit durchaus gebräuchlich. Die Ersetzung des Metalls Silber durch die Farbe Weiß bei der grafischen Wiedergabe von Wappen verdeutlicht diesen Zusammenhang. In seiner Arbeit zu den Wappenschilderungen in Konrad von Würzburgs Trojanerkrieg bietet Manfred Stuckmann[7]Stuckmann 2003. zahlreiche Beispiele für als „leuchtend“ beschriebene Farben. Es wäre also durchaus denkbar, dass sich die Bezeichnung „Leuchte“ auf die bauzeitliche Farbgestaltung des Wolfgangbaus bezieht.
Zur gegenwärtig rekonstruierten Farbfassung der Westfassade der Bernburger „Leuchte“
Die gegenwärtig rekonstruierte Farbfassung der Westfassade der „Leuchte“ geht, wie auch die wiederhergestellte Farbgestaltung der Giebel des „Blauen Turmes“ und die bereits rekonstruierte Fassung der Schmuckerker an der Südfassade des „Langen Hauses“, auf ein expressionistisches Gestaltungskonzept zurück, welches unter der Beteiligung von Bauhauskünstlern in den Jahren zwischen 1927 und 1936 entstand. Federführend war hierbei der hallesche Künstler Richard Degenkolbe (1890-1974). „Kontakte zu weiteren Bauhauskünstlern wie Hinnerk Scheper sind nachweisbar.“[8]Rüdiger 2008, S. 113.
Degenkolbe entwarf auch die Glasfenster, Farbfassungen, Wand- und Deckenmalereien für das Gebäude des Landesseminars in Köthen (heute „Grünes Gebäude“ der HS-Anhalt) und verantwortete im Jahr 1927/28 die Renovierung der Synagoge in Köthen.[9]Meinel 2008, S. 23 Fn. 122 Er war Mitglied der „Künstlervereinigung auf dem Pflug“ und der „Freien Künstlervereinigung Halle“, der auch Anton Ehrhardt, Paul Hartmann, Werner Lude und Karl Völker angehörten.[10]Meinel 2008, S. 14 und 94 Fn. 596