Baugestalt und Symbolik des Gebäudes

Zwischen Architektur, Malerei und Wappengestaltung bestanden in der Frühen Neuzeit zahlreiche Beziehungen. Im Schlossbau wurden aus der Malerei und der Heraldik bekannte Gestaltungskonzepte umgesetzt. Auf Wappendarstellungen galten Zweiturmfassaden seit dem Hochmittelalter als „grafische Abkürzung“ für eine Burg.[1]Kretschmar 2012, S. 51 Bauteile wie Türme, Zinnen, Schießscharten, unverputztes Bruchsteinmauerwerk, Quadermalerei auf Putzflächen oder betonte Eckquaderung brachten den Anspruch auf die Altehrwürdigkeit der von einer Burg aus herrschenden Dynastie zum Ausdruck.

Saalfeld, die Burgruine Hoher Schwarm. Foto: Wolfgang Seifarth (Wikipedia) CC BY-SA 3.0
Walter II. von Arnstein (1135-1176) und seine Gemahlin in ihrer „Burg". Der Brakteat zeigt ein von Türmen begrenzten Gebäude, welches das "feste Haus", den Hauptbau der Burg repräsentiert. Foto: Lutz-Jürgen Lübke (Lübke und Wiedemann), Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, 18201085, CC BY-NC-SA 3.0 DE (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/)
Die "Leuchte". Blick vom Saaleufer aus (Foto: 2012).
Ausschnitt aus "Der große Liebesgarten". Auch der sogenannte "Meister der Liebesgärten" kennzeichnete in dem um 1440 entstandenen Kupferstich den zentralen Bau einer imaginären Burg mit einer Zweiturmfassade. Quelle: http://www.zeno.org - Contumax GmbH & Co. KG (http://www.zeno.org/nid/20004166396)

Die „Leuchte“ des Bernburger Schlosses verdichtet einige dieser Elemente zu einem „burgenhaften“ Bild. Gegenwärtig von zwei Seiten umbaut, erhob sich das ursprüngliche Gebäude frei stehend, hoch über der Saale. Ein Stich aus dem 18. Jahrhundert zeigt ähnliche, mit Ecktürmen oder -erkern versehene frei stehende Häuser vor dem barocken Neubau des Zerbster Schlosses.

Zerbst: Stadtansicht mit Schloss 1693 (mit B bezeichnet das Haus des Fürsten Georg, rechts daneben das Haus Fürst Wolfgangs). (Quelle: Laß, Heiko (2012): Das Bernburger Schloss S. 25)

Bei der Bernburger Leuchte handelte es sich also – zumindest in Bezug auf die grobe Kubatur – nicht um ein Unikat. Der Standort des Gebäudes war für das askanische Selbstverständnis von höchster Bedeutung. Der Bernburg, „des alten herkommenden Stammes der Fürsten zu Anhalt Herz und Enthalt“,[2]Wäschke (Hg.) 1909 – Regesten, Nr. 1458 gebührt als symbolisches Bindeglied zwischen billungischer und askanischer Tradition, als „Bärenburg“ dem anhaltischen Wappentier zugeordnet und deshalb auch als sagenhafter Geburtsort Albrechts des Bären gedeutet,[3]Freitag 2003, S. 63. als erstem Herrschaftssitz des askanischen Herzogtums Sachsen und als Erinnerungsort an den Bernburger Erbfall unangefochten eine Führungsrolle unter den anhaltischen Schlössern.

Wolfgangs Vater, Fürst Waldemar VI., erstürmte am 30. Juli 1492 mit seinen Brüdern Georg und Ernst die Bernburger Burgmauern, um den Askaniern ihren bedeutendsten Erinnerungsort zu erhalten.[4]Wäschke 1917, S. 8. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sein Sohn hier ein Gebäude errichten ließ, dessen Ecktürme an den Bautyp der „Kastellburg“ erinnern. Solche Eckturm bewehrten Bauwerke waren besonders bei Stadtburgen des 13./14. Jahrhunderts beliebt.[5]Kühtreiber 2009, S. 78. Auch bei der Bernburger Stadtburg, dem sogenannten „Eichehof“, sind auf dem bekannten Merianstich kleine turmartige Eckerker zu erkennen. Sie und die Zinnenmauer kennzeichneten das mit repräsentativen Stufengiebeln versehene Gebäude am Altstädter Saaleufer als „festes Haus“. Der höchste Turm im Bereich der Stadtbefestigung, der Torturm des sogenannten Hirten- oder Nienburger Tores, übernimmt für die Bernburger Stadtburg die Rolle des Bergfrieds. „Haus“ und „Turm“ repräsentieren somit auch beim stadtherrlichen Wehrbau in der Bernburger Altstadt wesentliche Elemente einer Burg.

Der Bereich des „Eichehofes“ in der Stadtansicht von Matthäus Merian um 1650. Der Sattelhof, eine burgähnliche Anlage, schützte die östliche Seite der Altstadt und wurde daher in einer Erweiterung in die Stadtmauer einbezogen. Der links im Wasser stehende Eckturm war noch im 19. Jahrhundert als „Siegsfeldsches Gartenhaus“ sichtbar. (Quelle: Abelinus, Johann Philipp: Teatrum Europaeum, [...], Merian, Matthaeus; Oraeus, Heinrich; Lotichius, Johann Peter, et al. (Hg.). Frankfurt am Main)

Auf dem benachbarten Schlossberg wird das Motiv des „festen Hauses“ durch die gewaltigen Stützmauern der „Leuchte“ betont. Diese Substruktionen bilden ein Postament, auf dem das Gebäude ruht. Sie unterstreichen – selbst schon die Höhe eines Turmes einnehmend – eindrucksvoll das Element der Wehrhaftigkeit und den turmartigen Charakter des Bauwerks. Ähnlich dem festen Haus des Altstädter „Eichehofs“ tritt die „Leuchte“ mit dem benachbarten romanischen Bergfried in eine Wechselbeziehung. Ihre Architektur interagiert symbolisch mit dem Baukörper des romanischen Turmes und interpretiert diesen neu. Beide Gebäude verbindet eine Gestaltung zur medialen Repräsentation von herrschaftlicher Macht, ehrwürdiger Anciennität und dynastischer Würde.[6]Müller 2004. Zeichenhafte Grundelemente der Burg – der Turm und das „feste Haus“ – treten dabei in eine enge symbolische Wechselbeziehung.

Rundumverglasung: Die Leuchte – ein „Bauhaus“ der Frühen Neuzeit?
Detail der Fensterflächen am südlichen Eckturm der "Leuchte". (Foto aus dem Jahr 2005, Kulturstiftung Bernburg)

Gleichzeitig aber verdichten sich an der Westfassade der „Leuchte“ verschiedene architektonische Gestaltungsmittel zu einem neuartigen Gesamtkonzept. Originelle Lösungen Andreas Günthers, wie die für die Fensterfelder der Ecktürme angewandte Anordnung, bei der die Gewände der je vier Fenster so aneinanderstoßen, dass keine Wandflächen verbleiben, kennzeichnen innovative Neuerungen.[7]Neugebauer 2011, S. 131. Am Wolfgangbau kamen somit modernste Bauformen zur Anwendung.[8]Rüdiger 2008, S. 86. Gebogene Fensterscheiben im Sinne einer „Rundumverglasung“ ermöglichen den Panoramablick in das Saaletal. Das hier angewandte Konstruktionsprinzip, Glasflächen zu maximieren und gleichzeitig Wandflächen zu eliminieren, ist den Bernburgern vom hochgotischen Chor der Bernburger Marienkirche vertraut. Optimierte gläserne Wandflächen stehen in der Architektur für Kühnheit und Modernität, nicht nur bei der Glas- und Stahlarchitektur des Dessauer Bauhauses, sondern auch beim Bernburger Wolfgangbau. Bauten wie die Bernburger „Leuchte“, und nicht erst die Dessauer Meisterhäuser, stehen am Beginn der Karriere des Elementes „Glas“ als einem zentralen Gestaltungsmittel der Wohnarchitektur.

Die Repräsentation von Alterwürdigkeit trifft bei der „Leuchte“ auf bautechnische Modernität und eine radikale politisch-mediale Aussage im Bildprogramm. Genau diese Kombination macht das Bernburger Bauwerk so einzigartig.

Fußnoten

Fußnoten
1 Kretschmar 2012, S. 51
2 Wäschke (Hg.) 1909 – Regesten, Nr. 1458
3 Freitag 2003, S. 63.
4 Wäschke 1917, S. 8.
5 Kühtreiber 2009, S. 78.
6 Müller 2004.
7 Neugebauer 2011, S. 131.
8 Rüdiger 2008, S. 86.