Die Wurzeln der Bernburger Bürgerschaft liegen am Altstädter Markt!

Seit 735 Jahren gibt es Bürger in Bernburg! Die lange verschollene Abschrift der Urkunde aus dem Jahr 1278, in der Bernhard I., Fürst von Anhalt-Bernburg, den ersten Einwohnern der jungen Stadt das Recht zur Mitbestimmung und Selbstverwaltung erteilte, konnte erst vor zwei Jahren wieder aufgefunden werden.

Abschrift der ältesten Bernburger Stadtrechtsurkunde aus dem Jahr 1278. Historische Reproduktion. Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 7404/05, Erstes Buch, der Stadt Leipzig Privileg über die Niederlage- und Stapelgerechtigkeit, item der Rat zu Leipzig contra den Rat zu Weißenfels wegen eines Jahr-, Vieh- und Rossmarktes, 1605 - 1669, Bl. 107 - 108
Abschrift der ältesten Bernburger Stadtrechtsurkunde aus dem Jahr 1278. Historische Reproduktion. Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 7404/05, Erstes
Buch, der Stadt Leipzig Privileg über die Niederlage- und Stapelgerechtigkeit, item der Rat zu Leipzig contra den Rat
zu Weißenfels wegen eines Jahr-, Vieh- und Rossmarktes, 1605 – 1669, Bl. 107 – 108

Bernburgs Blütezeit als Bürgerstadt wurde mit Gewalt beendet. Im Jahr 1468 besetzten Truppen des Fürsten Georg I. von Anhalt-Zerbst die beiden Talstädte. Von nun an wuchs die Steuerlast, die die Bürgerschaft zu tragen hatte, stetig an. Die einst nach Zerbst wirtschaftlich zweitstärkste Stadt Anhalts versank im Schuldensumpf. Um finanziell zu überleben, wurden nun immer mehr Bürger zu Bauern: «Aus einem Zentrum von Handwerk, Handel und Verkehr war eine Ackerbürgerstadt geworden» [1] So wurde Bernburg zur Residenzstadt. Während folglich die Siedlung im Tal an Einfluss verlor, erbaute sich die nun mächtig werdende höfische Beamtenschaft in der Bergstadt und der Nähe des Schlosses prächtige Häuser.

Bernburgs Kirchen (hier die Marienkirche) blieben unvollendet. Nach der Umwandlung zur Residenzstadt diente das Geld der Bürger zur Schuldentilgung der Fürsten.
Bernburgs Kirchen (hier die Marienkirche) blieben unvollendet. Nach der Umwandlung zur Residenzstadt diente das Geld der Bürger zur Schuldentilgung der Fürsten.

Nur wer sich nun als treuer Untertan erwies, wurde geduldet und vom Hof versorgt. Die Bürger mussten viele von ihren Freiheiten aufgeben, brauchten sich im Gegenzug aber auch nicht mehr um jedes Problem selbst zu kümmern. Dieser Rückzug ins Private ging mit der wachsenden Sorge um die Gefährdung der heimischen Idylle einher. Diejenigen, denen es gut ging, riskierten weniger. Aus dem selbstbewussten mittelalterlichen Stadtbürger wurde der „kleine Mann“. Eine provinzielle Stimmung des Duckmäusertums war die Folge: Viele trugen die Faust in der Tasche. Die „Elite“ um die Hofbeamtenschaft gab sich im 19. Jh. reaktionär, während die wachsende Schicht der neu hinzugezogenen Industriearbeiter bald die alteingesessene Einwohnerschaft zahlenmäßig übertraf.

Fast alle wichtigen Entscheidungen wurden auf dem Schlossberg getroffen. Dann folgte eine Phase der „Fernsteuerung“ vom in Bernburg ungeliebten Dessau aus. Nur für einen kurzen Augenblick, in der Weimarer Republik und unter dem ersten frei gewählten Oberbürgermeister Friedrich Gothe, kehrte die bürgerschaftliche Selbstbestimmung nach Bernburg zurück. Doch dieser Augenblick währte nicht lange. Zu ungewohnt war den Bernburgern die Freiheit und sie warfen sich mehrheitlich wieder den großen „Kümmerern“ zu Füßen, dann folgte der Terror gegen Andersdenkende und die Statthalterschaft mächtiger Parteifunktionäre, die den adligen Herren glichen, wenn es um die Ausübung von Macht ging. An Kultur, Wissen und Verantwortung fehlte es ihnen oft!

Im Sommer 2013 haben viele Bernburger hart gegen die Wassermassen der Saale gekämpft. Die Sandsäcke wanderten von Alt zu Jung. Gäste reihten sich, ohne zu zögern, in die Ketten der Einheimischen ein. Diejenigen, die dabei waren, spürten, was Gemeinschaft ist und welche Kraft darin liegt, wenn man ein konkretes gemeinsames Ziel vor Augen hat. Jene Kraft benötigen wir nun auch, wenn es darum geht, die Zukunft unserer Stadt Bernburg zu gestalten!

Dieses Foto zeigt vermutlich den Bernburger Lohgerbermeister Joseph Calm, dessen Festnahme und Befreiung letztendlich den „Bernburger Bürgermord“ auf dem Altstädter Markt am 16.03.1849 auslöste.
Dieses Foto zeigt vermutlich den Bernburger Lohgerbermeister Joseph Calm, dessen Festnahme und Befreiung letztendlich den „Bernburger Bürgermord“ auf dem Altstädter Markt am 16.03.1849 auslöste.

Die einst von den Bürgern errichtete Stadtmauer schützte, wie schon Jahrhunderte zuvor, das alte Herz unserer historischen Bürgerstadt vor der Gewalt des Flusses. Dieses Herz liegt nicht auf dem Schloss, sondern dort, wo 1989 Kerzen für die Freiheit angezündet wurden und im März 1849 zwölf Menschen im Ringen um die Bürgerrechte ihr Leben lassen mussten! Das traditionelle Herz der Bürgerstadt Bernburg liegt dort, wo sich 1426 die Bernburger sammelten, um ihre Stadt gegen äußere Feinde zu verteidigen und sich das alte Symbol und der Stolz der mittelalterlichen Bürgerschaft, die Stadtkirche St. Marien erhebt. Es liegt dort, wo jenes Gebäude steht, welches uns jahrhundertelang als Rathaus diente und welches wir nun gern jungen Menschen aus aller Welt überlassen haben, um hier als Gäste unserer Stadt studieren zu können. Das traditionelle Herz der Bernburger Bürgerschaft liegt weder auf dem fürstlichen Schloß noch auf jenem Platz in der Bergstadt, wo früher Soldaten gedrillt wurden! Es liegt auf dem Altstädter Marktplatz am Ufer der Saale. Es wieder zum Schlagen zu bringen, sollte nun unsere Aufgabe sein!

 

  1. [1]Jablonowski,Ulla (2013) „Jahre des Übergangs“, Teil III. VAL Mitteilungen 22. Jg (2013) S. 77-116