
Nickelbrille und Liebhaber sandsteinverkleideter Betonwände: Holger Köhncke verlässt die Stadtverwaltung in Richtung der kommunalen Wohnstättengesellschaft. Hier gilt es, den frei werdenden Posten seines in den Ruhestand wechselnden Schwiegervaters Michael Wieduwilt zu besetzen – einen Baudezernenten soll es in Zukunft wohl nicht mehr geben.
Laut Aussage des Bürgermeisters Henry Schütze sind „große Projekte in den nächsten Jahren nicht zu bewältigen“ (Quelle: MZ-Artikel „Köhncke wird der Neue“ vom 16.02.2013).
Der Bürgermeister spielt bei dieser Aussage wohl auf den Sachverhalt an, dass sich in Sachsen-Anhalt die Zeit der zweistelligen Fördermittelmillionen im kommunalen Baubereich bis zum Jahr 2019 dem Ende nähert. Hier gelang der in Bernburg seit Jahrzehnten herrschenden politischen Mehrheitsfraktion in enger Verzahnung mit der Verwaltung in den zurückliegenden Jahren erhebliche Erfolge: Immer wieder wurden Fördermittel in großem Umfang nach Bernburg geleitet.
Fördermittel schaffen Einfluss

Wöge man den Einfluss der Dezernenten an den Budgets, welche durch ihr Dezernat umgesetzt werden, zählte das Bauamt und sein Vorgesetzter Holger Köhncke bisher sicher zu den einflussreichsten Größen der Bernburger Verwaltung.
In absehbarer Zeit wird sich diese Situation aber vermutlich verändern, denn Fördermittel zum Bau öffentlicher Infrastruktur besitzen Nebenwirkungen: Gefördert wird zunächst nur die Errichtung, nicht aber der Unterhalt der Bauwerke! Bald schon könnte also der Erhalt städtischer Infrastruktur-Einrichtungen zum wachsenden Problem werden.
Fördermittel haben Nebenwirkungen

Negativ wirkt sich dabei aus, dass die durch Förderung angetriebenen Projekte oft größer ausfallen, als es der Bedarf und die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte erlaubt.
Die in kurzen Zeiträumen aus Fördermitteln errichteten Bauten wurden häufig mit der gleichen Technologie und aus ähnlichen Materialien von denselben Firmen und Planern erstellt. Stellt sich heraus, dass es bei der Errichtung Mängel in diesem System gab, betreffen diese deshalb oft ausgedehnte Bereiche mit zahlreichen Projekten. Als Beispiel könnte hier die Pflasterung von Marktplätzen und Passagen der Region (auch in Bernburg) mit nicht frostresistenter indischer Grauwacke genannt werden.
Ob Projekte wie die Großschule „Campus Technicus“ dem sozialen Leben in der Stadt und der umgebenen Region eher nützen oder schaden, wird erst die Zukunft zeigen. Noch ist der Bau des Mega-Schulstandortes nicht abgeschlossen. Vorhaben dieser Größenordnung werden nach Abschluss der aktiven Bauphase oft von juristischen Auseinandersetzungen über Nachbesserungen begleitet. Auch beim “Campus Technicus” bestehen also noch erhebliche finanzielle Unwägbarkeiten.

Als eine Überschätzung der Leistungsfähigkeit könnte sich auch die komplette Überführung des Bernburger Schlosses in die städtische Verantwortung herausstellen. Statt auf eine wissenschaftlich fundierte Marketingstrategie mit Fernwirkung zu setzen, die das Schloss inhaltlich in überregionale Tourismusstrukturen einbindet, um beispielsweise vom Weltereignis Reformationsjubiläum 2017 zu profitieren, sprach Holger Köhncke bei einem Vortrag vor dem Seniorenkolleg am 15.11.2012 in Bernburg nur noch von einer zukünftigen Nutzung des Schlosses als „Kulisse“ für den von Holger Dittrich zuvor als „Event-Arena“ (MZ-Artikel vom 02.04.2011) bezeichneten Schlosshof.
Retro-Style in der Stadtentwicklung
Auch bezüglich der Stadtentwicklung kann der erreichte Stand kaum befriedigen. Das lehrt ein Gang durch die Wilhelmstraße zum Altstädter Markt. Bei der Stadtplanung ist problematisch, dass grundlegende Konzepte, die in ihren Wurzeln bereits aus den 60er Jahren stammen, nicht regelmäßig zur fachlichen Diskussion gestellt wurden.

Damals glaubte man, die stagnierende Talstadt durch massiven Bau von Wohnungen in Plattenbauweise „beleben“ zu können. Als Mieter erwarteten die Stadtplaner die Ansiedlung zahlreicher Arbeitnehmer eines „Kaliwerkes im Raume Aderstedt/Ilberstedt“, welches aber nie gebaut wurde (Quelle: „Freiheit“ 1965).
Schon bei der Planung der Plattenviertel hatte man vor, die teils mittelalterlichen Straßen- und Hofstrukturen der Altstadt zu “bereinigen”, ein Leitmotiv, dass auch in der aktuellen Planung (siehe FOKUS SAALE) nicht aufgegeben wurde.
Noch bis heute glaubte der Baudezernent offensichtlich an die Möglichkeit einer „Belebung“ der Altstadt vorallem durch den Wohnungsbau. Bürgerschaftlich orientierte Konzepte, die die Stadt als selbstorganisierten sozialen und kulturellen Raum begreifen, die Lebens- und Alltagskultur, Kommunikation und Selbstbestimmung in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stellen, fehlen weiterhin.
Beim demographischen Wandel verlässt man sich auch in Zukunft auf die Leistungen des Staates und privater Pflegedienste. Die Auswirkungen der Altersverteilung in der Bevölkerung auf die zukünftige Wertentwicklung von Immobilien werden ignoriert – immer noch entstehen Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese und verschärfen damit das zukünftige Überangebot. Globale Krisenszenarien, wie ein möglicher Kollaps des Währungssystems und seine sozialen Auswirkungen oder ein weiterer drastischer Anstieg der Energiepreise spielen in der Bernburger Stadtplanung bisher keine Rolle.
Es wird sich zeigen, ob die städtische Verwaltung nach der angekündigten Umstrukturierung den zukünftigen Problemen gewachsen ist. In diesem Sinne kann die Aussage des Bürgermeisters, dass „große Projekte in den nächsten Jahren nicht zu bewältigen“ sind, auch anders interpretiert werden!
Zeitungsartikel zur Planung der Talstadt im Jahr 1965
Eine Auswahl von Zeitungsartikeln, erschienen zwischen Februar und Juli 1965 in der Zeitung “Die Freiheit”, ermöglicht hochinteressante Einblicke in Planungsprozesse der 60er Jahre. Geradezu verblüffend erscheinen die Bemühungen zur Diskussion und Einbeziehung der Bevölkerung. Wenig später war eine solch transparente Vorgehensweise kaum noch denkbar.
Ähnliche Diskussionen wie im Jahr 1965 wären auch in der derzeitigen Situation der Talstadt angebracht!
Gleichzeitig dokumentieren die Artikel eine gewaltige Fehlplanung: Bei der Konzeption der Plattenbauten am Nienburger Tor ging man von dem Neubau eines Kalibergwerkes bei Aderstedt aus. Dieses Werk wurde aber nie errichtet.
Was blieb waren die Plattenbauten, welche nun dafür sorgten, dass ein Überangebot an Wohnraum in der Talstadt bestand. Dieses Überangebot verstärkte den Niedergang der Bernburger Altstadt.
Heute dienen die DDR-Plattenbauten als lukrative Einnahmequelle. Ihre Präsenz in der Bernburger Talstadt zementiert das Überangebot an Wohnraum und ist deshalb für den städtebaulichen Stillstand mitverantwortlich.