Raum für Experimente – Ein Vorschlag zur Nutzung der Bernburger Freiheit
-> Stadtverwaltung kündigt Sanierung der Freiheit an. MZ-Artikel vom 27.05.2011
In den letzten Jahren wurden zahlreiche Projekte für verschiedene Bevölkerungsgruppen in der Stadt Bernburg realisiert.
Inzwischen stehen umfangreiche räumliche Angebote für die Betreuung von Kindern (Schulen, Horte, Kindertagesstätten) und Senioren (Seniorenzentren) zur Verfügung. Die Freizeit GmbH versorgt die Bernburger mit zahlreichen Möglichkeiten, den Breitensport auszuüben. Weiterhin konnte ein Großteil der DDR-Naherholungseinrichtungen für Familien erhalten werden.
Was in Bernburg aber fehlt, ist ein Raum für das Experimentelle. Alternativkultur findet derzeit in unserer Stadt nicht statt, für sie gibt es keinen Platz.
Experimente?
Im Moment kennt noch niemand die Antwort auf jene Fragen, welchen sich unsere Stadt in naher Zukunft stellen muss. Wie gehen wir in 15 Jahren mit dem Problem der Überalterung um? Wie können wir die gefährliche Entwicklung stoppen, dass uns immer noch jedes Jahr Menschen mit guter Ausbildung verlassen? Wer übernimmt in Zukunft die Verantwortung für die demokratische Regierung unserer Stadt? Wer besetzt die Ausschüsse? Wie soll es überhaupt mit Bernburg weiter gehen? Wollen wir, dass die Innenstadt weiter abgerissen wird oder soll zunächst der Stadtrand schrumpfen?
-> MZ-Artikel zu diesem Thema: Niemand mehr da vom 21.04.2011
Auf all diese Fragen kann heute keiner eine Antwort geben, aber wir müssen uns schon sehr bald mit ihnen beschäftigen!

Nach einer Zeit des Ausgleichs regionaler Unterschiede durch staatliche Förderung nach dem Gießkannenprinzip wird es bei dem zu erwartenden Rückgang der öffentlichen Subventionen bald wieder einen stärkeren Wettbewerb zwischen den Städten geben.
Dann wird die Zukunft unserer Stadt von cleveren Ideen und dem Engagement der Bürger abhängen. Wir brauchen das Wissen, die Kreativität und die Kraft jedes Einwohners, um unsere Stadt weiter zu bringen.

Wir Bernburger müssen uns als „Eigentümer“ unserer Stadt daran gewöhnen, selbst Entscheidungen zu treffen. Im Moment nimmt uns die städtische Verwaltung viele von ihnen ab. Oft ist sie es, die Fördergelder erschließt, dann die Richtung vorgibt und damit die Entwicklung unserer Kommune steuert. Das ist für uns alle sehr bequem, daran haben wir uns gewöhnt.
Aber auch die beste Verwaltung kann eine Stadt nicht auf Dauer regieren und Fürsten oder „allwissende“ Parteiführer gibt es nicht mehr. Wir Bürger müssen bald bewusster als bisher das Steuer in die Hand nehmen, ob wir wollen oder nicht!
Was hat das nun alles mit dem Bernburger Stadtviertel „Freiheit“ zu tun?

Auch wenn man es heute kaum glauben kann: Die Freiheit ist ein sehr altes und wichtiges Stadtviertel. Hier hat sich der einzige mittelalterliche Straßenraum Bernburgs erhalten. Von hier aus wuchs die heutige Bergstadt. Die Freiheit gehörte schon immer den Bürgern. Wer hier im späten Mittelalter lebte, war frei von Dienstverpflichtungen gegenüber dem Fürsten, daher stammt auch der Name. Die Freiheit ist ein altes Bürgerviertel!
Die Freiheit verbindet die Berg- und die Talstadt. Hier, auf dem Saalplatz, begann auch das Geschäftesterben nach der Wende. Es erfasste zunächst nur den Raum vor der Brücke, dann den Markt und inzwischen auch die untere Wilhelmstraße. Deshalb muss dieser Prozess des Verfalls, der Bernburg wie ein Geschwür bedroht, auch von hier ausgehend gestoppt werden. Dabei wird es nicht genügen, ehemalige Geschäfte, Gast- und Werkstätten in Wohnraum umzuwandeln. Ein lebendiges Stadtzentrum muss Menschen anziehen, sonst verliert es seine zentrale Funktion.

Wir haben in unserer Stadt ein Strukturproblem, das sich vor dem Hintergrund der zu erwartenden demographischen Entwicklung und der grassierenden Abwanderung bald noch verschärfen wird.
Der Raum um den Saalplatz ist das heimliche Herz Bernburgs. Jeder Besucher oder Spaziergänger, der zu Fuß von der Berg- in die Talstadt muss, kommt hier vorbei.
Ich möchte vorschlagen, diesen historischen Ort im wahrsten Sinne des Wortes wieder zu beleben und zu einem ganz besonderen bürgerschaftlichen Experimentierfeld für ein Bernburg der Zukunft zu machen.
Mut zum Alternativen – Ein Stadtviertel für junge Menschen
Die verwinkelten und derzeit leer stehenden Wohnungen der Freiheit könnten in einem ersten Schritt nach dem Konzept der „Wächterhäuser“ instand gesetzt werden. Die Statik der Gebäude müsste gesichert, die Dächer dicht und die benötigten Medien vorhanden sein. Sanitärräume und sonstige für die technische Funktion notwendige Infrastruktur müsste eingerichtet werden.
-> Mehr zum Thema “Wächterhäuser”
Wichtige Prinzipien sollten dabei sein: intelligenter Einsatz von Alternativtechniken unter dem Gebot der Sparsamkeit statt perfekter Luxussanierung, Erhalten statt Neubau, Wiederverwendung historischer Materialien, Hilfe zur Selbsthilfe. Falls Nutzungsideen noch fehlen – zunächst Erhalten statt Abreißen. Diesmal: Erst Denken, dann bauen!

Die unterschiedlichen Wohnungen der Freiheit mit ihren interessanten Raumstrukturen ermöglichten ein alternatives Wohnkonzept für Studenten, Auszubildende und Praktikanten: Experimentelle WGs für Gruppen und Einzelzimmer für junge Individualisten in einem Altbauviertel mit Montmartre-Charakter, mitten in der Innenstadt in der Nähe zur Saale, der Alten Bibel und zum Schloss!
Die vielfältigen Räume des Stadtviertels, vom Atelier bis zum Geschäft, laden zum Experimentieren ein: Galerien, Künstler, Werkstätten, spontane Aktivitäten, Diskussionen, Austausch, Straßenfeste, vielleicht eine kleine Ausstellung zur Stadtgeschichte für Gäste auf dem Lutherweg oder ein nettes Café, eine Heimat für einen Stadtteilverein…
-> Ein Projekt mit ähnlicher Zielstellung wurde auch in Merseburg realisiert.
Was könnte entstehen?

Ein Platz für Kreativität, Diskussionen, Internationalität, Vielfalt, bürgerschaftliches Engagement und alternative Kultur mitten in der Stadt!
Warum sollten wir Bernburger uns nicht einmal als großzügige Gastgeber zeigen und jungen Menschen, die in unsere Stadt kommen etwas bieten, was es anderswo so nicht gibt und woran sie sich vielleicht ihr ganzes Leben positiv erinnern werden? Locken wir doch ein paar von den 2700 Strenzfelder Studenten einfach in die Innenstadt, indem wir ihnen ein einzigartiges Wohnkonzept bieten! Knüpfen wir Kontakte! Es wird sich lohnen.
Denn vielleicht sind ja einige von ihnen dann so begeistert, dass sie auch Einschränkungen im Verdienst in Kauf nehmen, um hier in Bernburg zu bleiben: Ein begehrter Lebensort wird ja nicht nur durch das zu erzielende Gehalt bestimmt, sondern auch dadurch, wie attraktiv eben das Leben und die Gemeinschaft ist.
Warum das Prinzip „erst Arbeitsplätze, dann Lebenskultur“ nicht einmal herumdrehen?
Ist es erst einmal „in“, sich in Bernburg niederzulassen, machen sich Menschen auch Gedanken, wie sie ihr Leben hier finanzieren können, dann entstehen in unserer Stadt mehr kreative Unternehmenskonzepte! Wie hoch das Gehaltsniveau ist, bestimmt nicht zuletzt auch der Markt und nicht nur der Staat.
Ein solches Szenario erscheint immerhin hoffnungsvoller als der heutige Absolventen- und Abiturienten-Ausspruch: Nur weg hier!
Vielleicht drohen uns bald Arbeitsplätze gerade wegen unserer guten Verkehrslage verloren zu gehen: Warum nicht beispielsweise im zunehmend Gestalt annehmenden Kulturort Aschersleben (Stichwort Grafikstiftung Neo Rauch, Kabarettfestival) wohnen, dort seine Kinder aufziehen (in Aschersleben gibt es zwei Schulen in freier Trägerschaft), dort sein Geld auszugeben und es im nahegelegenen Bernburg zu verdienen? Die B6n macht es möglich!
Am Beispiel Aschersleben kann man gut erkennen, dass auch andere Kommunen die Zeichen der Zeit erkannt haben und nun zielstrebig ihre Strategien verfolgen! Können wir uns in Bernburg wirklich zurücklehnen?
Wer soll das bezahlen?

Vielleicht gelingt es ja, für ein Projekt „Bernburger Freiheit“ auch die ansässige Wirtschaft und den Mittelstand zu begeistern.
Warum sollten wir nicht eine Bernburger Zukunfts-Stiftung unter dem Namen des ersten frei gewählten Oberbürgermeisters der Stadt “Friedrich Gothe” (Bürgermeister von 1919-1933) gründen, in die jeder einzahlen kann, der an jungen Fachkräften und einer jungen Zukunft unserer Stadt interessiert ist und ihr die leerstehenden Gebäude der “Freiheit” übertragen?
Wieviel sind wir Einwohner und ortsansässige Unternehmen bereit, in eine Perspektive für unsere Stadt zu investieren?
-> Unternehmer zeichnen düsteres Bild – MZ-Artikel vom 20.04.2011
Jede gut ausgebildete Familie die nach Bernburg zieht oder in unserer Stadt gegründet wird, weil hier eine junge, weltoffene Lebenskultur und gute Jobchancen locken, lohnt diese Investition! Jeder junge Bernburger, der nach der Ausbildung wieder in seine Heimat zurück findet, ist ist diese Anstrengung wert!
Die 1050-Jahrfeier sollte nicht nur Anlass zum Rückblick geben, sondern auch zum Blick nach vorn ermuntern.
Bernburg ist keine Residenzstadt mehr, sie muss jetzt eine Stadt werden, die für uns Einwohner wichtig ist und für die wir uns als Bürger verantwortlich fühlen, weil es keinen Fürsten oder allmächtigen Zentralstaat und auch keine Verwaltung gibt, dem wir diese Verantwortung dauerhaft übertragen können!
Warum sollen wir uns, nach 1050 Jahren, nicht auch auf eine spannende Zukunft für unsere Stadt freuen?
Mit meinem Vorschlag zu einem Stadtviertel für junge Menschen in der Bernburger Innenstadt möchte ich auch das Vorhaben eines studentischen Kulturzentrums im ehemaligen Café Wien unterstützen. Bitte informieren Sie sich auch über dieses interessante junge Projekt!
-> Wieder Leben im Café Wien, MZ-Artikel vom 31.05.2011