Stellungnahme der Fraktion “Die Linke” im Stadtrat Bernburg zu meinen Fragen bezüglich der geplanten Eigenheim-Neubebauung am Bernburger Stadtrand und der Entscheidung bei der Stadtratssitzung am 27.10.2011.
Aus einer E-Mail des Fraktionsvorsitzenden Udo Riedel:
Sehr geehrter Herr Böhlk,
lassen Sie mich vorwegschicken, das wir in der Fraktion die Gesamtproblematik noch nicht abschließend diskutiert haben, wir aber grundsätzlich der Meinung sind, dass neue Wohnbaugebiete für den Eigenheimbau nur dann notwendig sind, wenn die Auslastung bestehender Gebiete erreicht oder abzusehen ist. An diesem Punkt haben wir im Moment jedoch unsere Zweifel, deshalb haben wir auch die Verwaltung gebeten, bis zum Stadtrat eine Übersicht über die bestehenden und aktuell bereits geplanten Wohnstandorte für den Neubau von Eigenheim zu berichten, insbesondere auch über deren aktuelle Auslastung.
Frage 1) Viele Bernburger kennen die Schulze-Boysen-Siedlung (ehemalige Junkerssiedlung) mit ihren charakteristischen Wohnhäusern als einen Teil der Bernburger Stadtgeschichte.
Wie beurteilen Sie die Vorgehensweise, dass einerseits die Schulze-Boysen-Siedlung zumindest teilweise abgerissen werden soll und andererseits in direkter Nachbarbarschaft neue Eigenheime geplant sind im Bezug auf die soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit.
Zu 1) Der Teilabriss des Wohngebietes der Schulze-Boysen-Siedlung wird unsererseits sehr wohl kritisch gesehen. Leider muss man aber auch feststellen, dass kaum Alternativen bestehen. Durch die über viele Jahre ruhenden Investitionstätigkeiten in diesem Gebiet – auch und insbesondere der reinen Werterhaltungsmassnahmen – ist ein Großteil des Gebäudebestandes mittlerweile tatsächlich in einem desolaten Zustand. Eine Sanierung ist deshalb kaum wirtschaftlich tragfähig. Ursache dafür ist natürlich das geltende Recht wenn es um Restitutionsansprüche geht. Wäre hier dem Gedanken einer Werterhaltung Vorrang gegenüber dem sturen Festhalten an Eigentumsfragen eingeräumt wurden, insbesondere wenn der Eigentümer entweder nicht zu ermitteln ist oder nicht investieren kann oder will, dann wäre der Verfall sicherlich abzuwenden gewesen. Was aus unserer Sicht zu hinterfragen bliebe, wäre inwieweit in Bernburg nicht noch erhöhter Bedarf an preiswertem Wohnraum besteht, der aktuell nicht anderen Orts gedeckt ist, wo also die Frage der Rentierlichkeit einer einfachen Sanierung weiterer Gebäude in der Schulze-Boysen-Siedlung sich anders darstellen würde.
Frage 2)
Im Stadtzentrum stehen zahlreiche Wohnungen und Geschäfte leer. Wie beurteilen Sie den geplanten Neubau von mehr als 200 Eigenheimen am Stadtrand bezüglich der Auswirkung auf den zentrumsnahen Einzelhandel?
Zu 2) Leider ist ja die Ausweisung von weiteren Wohnbaugebieten noch lange keine Garantie für ihre zügige Bebauung. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass jeder Bewohner dieser Siedlung (unabhängig von Miet- bzw. Eigentumssituation) seinen Grundbedarf an Lebensmittel und anderen Waren des täglichen Bedarfs in Bernburg sichern wird. Insofern könnte eine „Neubesiedelung“ dieses Bereiches durchaus auch neue Käufer für die Innenstadt bringen, natürlich aber nur dann, wenn es sich nicht nur um Umzüge innerhalb der Stadt handelt. Einen durchgreifenden Einfluss auf die Innenstadtsituation wird sich unserer Meinung nach aber weder in die eine noch in die andere Richtung zeigen.
Frage 3)
Das am 23.06.2011 durch den Stadtrat beschlossene Konzept Fokus Saale sieht eine Konzentration städtebaulicher Investitionen in das historische Stadtzentrum vor. Wie beurteilen Sie die geplante Neuerrichtung von mehr als 200 Eigenheimen am Stadtrand im Bezug auf das Konzept Fokus Saale und die städteplanerische Reaktion auf den demographischen Wandel in unserer Stadt.
Zu 3) Alleine die Ausweisung dieses dann neuen Wohnbaustandortes dürfte unserer Meinung nach noch nicht allzu viel Einfluss auf die Bereiche des Konzeptes „Fokus Saale“ haben – siehe Bemerkungen zu Punkt zwei. Auch muss man hier unterscheiden zwischen den städtebaulichen Investitionsleistungen der Stadt und lediglich der rechtlichen Ausgestaltung. Die Stadt wird an der Schulze-Boysen-Siedlung ja selbst nicht investieren. Was aber richtig ist, ist wenn man mehr Leute in die Innenstadt ziehen möchte, über ganz andere Anreize nachgedacht werden muss als bisher. Nur wenn ich potentiellen Interessenten eines Zuzugs nach Bernburg auch entsprechende Anreize bieten kann, werden diese sich für einen Wohnort in den Innenstadtbereichen entscheiden. Dazu gehört natürlich zum einen ein funktionierendes und attraktives Umfeld, dazu können aber auch direkte Anreize zählen. Die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Umfeldentwicklung sind aber nicht so immens. Für jede Ansiedlungsentscheidung eines Gewerbetreibenden steht nun einmal die konkrete Frage der Kaufkraft in dem Bereich und wenn diese einfach nicht hoch genug ist, werden sie keine Firma dazu zwingen können sich gerade in der Innenstadt anzusiedeln um dort vielleicht auch Leerstand zu beseitigen.
Und auch unter Aspekten des demographischen Wandels muss man feststellen, zum einen haben wir einen Anstieg beim Prozentsatz der älteren Einwohner, welche jetzt oder in der näheren Zukunft auf Unterstützung bei den täglichen Besorgungen angewiesen sein werden. Zum anderen den immer noch ausgeprägten Wunsch jüngerer Leute, sich den Traum vom eigenen Haus zu erfüllen. Beides muss eine Stadt bei der Zukunftsplanung berücksichtigen.
Im Fazit festzustellen bleibt unserer Meinung nach, dass die Notwendigkeit weiterer Wohnbaugebiete zum jetzigen Zeitpunkt nicht geklärt ist und Neuausweisungen nicht einfach nur deshalb erfolgen sollten, weil es an einem Standort möglich ist – solche Beschlüsse dürfen nicht zu „Arbeitsbeschaffungsmassnahmen“ für Planungsbüros werden, welche dann mangels Nachfrage erst einmal über Jahre in irgendwelchen Schubladen verstauben.