MZ-Kulturpapst spricht den Segen
Der „Kulturpapst“ der Mitteldeutschen Zeitung, Günter Kowa, hat dem Campus Technicus seinen Segen erteilt und nun ist das Bernburger Mammutprojekt auch pünktlich zum Tag der offenen Tür am 02.12.2013 (fast) fertig geworden. Nur noch Kleinigkeiten fehlen und undichte Stellen, wie jene, die im Hausarbeitsraum heute noch eine Pfütze verursachten, sollen schnell nachgearbeitet werden.
Kaum ist die Einrichtung vorhanden um die kilometerlangen Wandflächen zu füllen. Aber dem Reiz der großen Glasflächen, frischen Farben und neuen Materialien kann sich kaum jemand entziehen. Kleine architektonische Gimmicks wie die runden Gucklöcher im Fußboden (eine Besucherin: „hier sollte man wohl lieber keinen Rock tragen“) und geschwungene Treppengeländer machen auf Design.
Und nun: Die Rechnung bitte!

Es scheint also vollbracht zu sein. Nun kommen die Rechnung und der Alltag. Bezüglich der Rechnung wird sich zeigen, wer die durch die Bauverzögerung zu erwartenden Mehrkosten aufbringen muss. Nach der aktiven Bauphase folgen bei Bauprojekten oft eine Reihe rechtlicher Auseinandersetzungen um Nachbesserungen und andere vertragliche Einzelheiten. All diese Dinge werden Spuren in den Gesamtkosten des Projektes hinterlassen, für die letztendlich auch die Bürgerschaft einstehen muss. Es wäre daher sehr wünschenswert, dass die Bernburger Stadtverwaltung einmal alle Karten für die Gesamtfinanzierung des Projektes am besten im Internet oder zumindest im Amtsblatt auf den Tisch legt.
Diese Transparenz könnte auch die Befürchtung zerstreuen, die aufkommt, wenn die Stadt gerade zu dem Zeitpunkt Ausgleichszahlungen für die Stadtsanierung von ihren Bürgern fordert, an dem abzusehen ist, dass die Schlussrechnung für das Abenteuer „Campus Technicus“ ins Haus flattern wird.
Ohne Zaun und Tor?

Beleuchtete Fassadenelemente der neuen Campus Technicus Turnhalle verschwinden hinter einer drei Meter hohen Mauer aus Bruchstein-Immitat vor Betonelementen mit eingesägten Sehschlitzen. Sieht so die “Verzahnung mit der Nachbarschaft” oder ein “Schulbereich, ohne Zaun und Tor” aus?
Nun wird sich zeigen, ob die teure Idee von einem in den Stadtraum integrierten Lernraum umgesetzt werden kann. Dieser als „Treibhaus“ bezeichnete Platz wurde im Hochglanzprospekt „ZukunftsBildung – Lernen im Zentrum“ des Ministeriums für Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2010 auf S. 26 wie folgt beschrieben: “Zum anderen steht die Transparenz des geplanten multifunktionalen Gebäudes mit Medien-, Theater-, Musikwerkstätten, Handwerksräumen und Laboren sowie Bibliothek, Mediathek, Mensa und Caféteria für einen offenen Schulbereich, ohne Zaun und Tor, für jeden zugänglich, auch und im Besonderen generationenübergreifend für fakultative Bildungsangebote am Nachmittag. Das „Treibhaus“ soll für die Öffentlichkeit erlebbar sein, Platz bieten für Kooperationen und Synergien sowie als Arbeitsort für Berufsberater und Bildungsmanager, deren Angebote sich nicht ausschließlich an die Schüler der Sekundarschule richten müssen. Das „Treibhaus“ wird zur Schnittstelle zwischen Lern- und Stadtwelten.“
Wird der Schulbau: „baulich, funktional und inhaltlich verzahnt mit der Nachbarschaft“ (Günter Kowa) für die Bürger offen stehen? Welchen Preis müssen Vereine und Einzelpersonen zahlen, um Räume im Campus nutzen zu können?
Wird es, wie einst im Entwurf geplant, möglich sein, die mehr als 1000 Jahre bestehende Grenze zum Burgareal zu überwinden und vom bürgerlichen Lebensraum am Lindenplatz und Boulevard durch das Campus-Gebäude zum Theatervorplatz und zum Rathaus zu gelangen?
Verantwortung hört nicht am Schultor auf!
Ein fader Beigeschmack bleibt, wenn man bedenkt, dass die hier ausgegebenen Mittel in der Fläche fehlen. Kleinere Städte und Dörfer in der Umgebung Bernburgs verfügen teils nicht einmal über eine Grundschule. Dort kämpfen Feuerwehr-, Chor-, Sportvereine und Spielmannszüge um jeden Jugendlichen, der am frühen Morgen gen Bernburg aufbricht und erst spät am Nachmittag wieder in seinen Wohnort zurückkommt. Wo bleibt der Nachwuchs für die bäuerlichen Betriebe der Region, wenn die Jugend schon ab der fünften Klasse in die Stadt gezwungen wird? Wie werden die Eltern zur Mitarbeit gewonnen, wenn sie zum Schulort ihres Kindes viele Kilometer fahren müssen?
Alternative Konzepte, die junge Menschen nicht aus ihrem Lebensraum entwurzeln und auf dezentrale und klassenübergreifende Kleinschulen setzen, gibt es auch für den Sekundarschulbereich. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob die Zentralisierung sich auch positiv in der Fläche auswirken wird.
Auch auf die Schüler als Wirtschaftsfaktor zu hoffen, stimmt nachdenklich. Imbissangebote und Chips- und Süßwarenregale locken die Schüler auf dem Weg zum Busbahnhof und spekulieren dabei auf den ein oder anderen Euro vom Taschengeld. Nur eine gute Versorgung mit Schulessen kann die Kinder und Jugendliche davor schützen, zu viel Geld für Pizza, Cola und Co auszugeben.
Es wird sich zeigen, ob die Zusammenballung von Altersgruppen in einem Gebäude funktioniert. Bei altersgruppenübergreifenden Konzepten kann mit Generationsunterschieden pädagogisch gearbeitet werden, hier treffen hunderte pubertierende Schüler im gleichen sozialen Entwicklungsstadium aufeinander. Quasi nebenbei soll dann natürlich auch noch das Inklusions-Konzept erledigt werden.
Ob die vielgepriesene Integration in den Stadtraum gelingen wird hängt auch davon ab, ob jemand die Verantwortung über den Schulweg übernimmt. Wer Jugendliche massenweise in die Stadt bringt, muss sich auch darum sorgen, wie sich diese geballte Gruppe dann in der Stadt bewegt.
Diese Verantwortung endet nicht an der Schultür, sondern dann, wenn der Schüler in seinem Heimatort den Schulbus wieder verlässt!