Der gebundene Drache in der Bernburger Burgkapelle St. Pankratius

Georg der Drachenkämpfer

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Schilderungen des Drachenkampfes spielten im europäischen Mittelalter eine große Rolle. Der heute bekannteste Vertreter der Drachenbezwinger ist der heilige Georg, dessen Bild als Reiter mit Lanze im Kampf mit einem Drachen weite Verbreitung fand. Reitende Kämpfer, die schlangen- oder drachenartige Ungeheuer überwinden, bilden auch ein häufig gebrauchtes Motiv in der frühen Heiligenikonografie. Benjamin Fourlas schreibt dazu: „Dieses Motiv folgt einer alten Kunsttradition und war auch in der imperialen Ikonographie der Spätantike geläufig„.[1]Benjamin Fourlas, Eine frühbyzantinische Silberschale mit der Darstellung des heiligen Theodor, in: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 55 (2008), S. 483–528, hier S. 509.

Siegesmedaille des Trajan (53-117) Bildquelle: Henry Cohen, Description historique des monnaies frappées sous l'Empire Romain, Tome II, Paris, 1882, S. 69.

Siegesmedaille des Trajan (53-117) Bildquelle: Henry Cohen, Description historique des monnaies frappées sous l’Empire Romain, Band II, Paris, 1882, S. 69.

Dieses nach dem Sieg über den Usurpator Magnentius im Jahr 353 hergestellte Goldmedaillon stellt Kaiser Konstantin II. (317-340) und den besiegten Feind als Schlange dar. Bildquelle: Henry Cohen, Description historique des monnaies frappées sous l'Empire Romain, Band VII, Paris, 1888, S. 443.

Dieses nach dem Sieg über den Usurpator Magnentius im Jahr 353 hergestellte Goldmedaillon stellt Kaiser Konstantin II. (317-340) und den besiegten Feind als Schlange dar. Bildquelle: Henry Cohen, Description historique des monnaies frappées sous l’Empire Romain, Band VII, Paris, 1888, S. 443.

Besonders ein aus Anlass des Sieges über den Usurpator Magnentius im Jahr 353 geschaffenes Goldmedaillon, auf dem Kaiser Konstantin II. und der ihm unterlegene Feind als Schlange darstellt ist, gilt als Prototyp für spätere Heiligendarstellungen.[2]Eger, Christoph, Debellator Hostium. Zur Reiterdarstellung auf dem Scheibenknebel aus Puente Genil., 7.1.2016, [http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/volltexte/2007/32/]. (S. 6)

Votivrelief (Votivgabe) eines Thrakischen Reiters, Marmor (Quelle: Wikipedia, GNU General Public License, Bildautor: Apostoloff)

Votivrelief (Votivgabe) eines Thrakischen Reiters, Marmor (Quelle: Wikipedia, GNU General Public License, Bildautor: Apostoloff)

Mit dem Kult des Thrakischen Reiters  fand diese Darstellungsform in der Spätantike eine weite Verbreitung über den gesamten Balkan. Aber vermutlich erst im Mittelalter wurde das Bild des „siegreichen Reiters“ mit dem heiligen Georg verknüpft.

Für das Bernburger Drachenrätsel ist es nun sehr interessant zu erfahren, dass sich „oben auf dem Gewölbe“, das heißt auf der Westempore der St. Pankratiuskapelle, ein St. Georgs-Altar befand.[3]Nr. 513, in: Hermann Wäschke (Hrsg.), Regesten der Urkunden des herzoglichen Haus- und Staatsarchivs zu Zerbst. Aus den Jahren 1401 – 1500. Dessau 1909. Eine Lanze oder eine ähnliche Waffe wird am Bernburger Erkerfuß aber nicht dargestellt. Stattdessen erkennt man nur zwei unbewaffnete Arme am Hals des Drachens.

Auch der bekannte "Reiterstein von Hornhausen", ursprünglich Teil der Chorschranke eines im frühen 7. Jh. entstandenen Kirchenbaus, nimmt das Motiv des siegreichen Reiters über einer gebundenen Schlange auf. (Quelle: Foto Juraj Lipták , Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Archiv. Mit freundlicher Genehmigung)

Auch der bekannte „Reiterstein von Hornhausen“, ursprünglich Teil der Chorschranke eines im frühen 7. Jh. entstandenen Kirchenbaus, nimmt das Motiv des siegreichen Reiters über einer gebundenen Schlange auf. (Quelle: Foto Juraj Lipták , Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Archiv. Mit freundlicher Genehmigung)

Einen wichtigen Hinweis zur Deutung dieses Bildes im Kontext des heiligen Georgs erhalten wir von Johannes Baptist Aufhauser, der aus verschiedenen Quellen eine „Urfassung“ der vermutlich aus einer griechischen Quelle stammenden Drachenwunder-Erzählung rekonstruiert hat. In der entscheidenden Szene lautet es dort:

„Und sofort schrie die Jungfrau: „Wehe mein Herr, eile davon, der schreckliche Drache kommt.“
Da sprach der Heilige: „Sei mutig, Weib fürchte Dich nicht“, lief dem Drachen entgegen, machte das Zeichen des Kreuzes auf seine Stirne und sprach: „Herr mein Gott, der Du Himmel und Erde gemacht, hilf mir, unterwirf mir dies Tier zum Gehorsam des Glaubens dieses ungläubigen Volkes.“
Und bei diesen Worten fiel der Drache durch die Mitwirkung Gottes und das Gebet des Heiligen zu den Füßen des Heiligen.
Und der Heilige sprach zur Jungfrau: „Löse Deinen Gürtel und den Zaum meines Pferdes und bringe sie mir her.“
Und die Jungfrau löste sie und gab sie dem Heiligen.
Und nach der Fügung Gottes fesselte er den Drachen und gab die Schlange der Jungfrau mit den Worten: „Laß uns in die Stadt gehen zu Deinem Vater.“[4]Johannes Baptist Aufhauser, Das Drachenwunder des heiligen Georg. Leipzig, München 1911, S. 89 f.

In Anbetracht dieser Schilderung bietet sich als Deutungsvorschlag an, dass die Bernburger Skulptur die Bindung des Drachens mit dem Gürtel der Jungfrau darstellt. Die Anordnung der Skulptur des gebundenen Lindwurmes als Tragkonstruktion eines St. Georg-Altares ermöglicht die reizvolle Assoziation, dass die den Lindwurm bindenden Arme quasi aus dem einst auf dem Erkerfuß stehenden Altar „herauswuchsen“.

Der Altarerker könnte entweder innen, im Zwickel der Doppelarkade, oder – und das ist wahrscheinlicher – außen, im Bereich der Herrschaftsempore angebracht gewesen sein. Am Außenbau hatten architektonisch auffällige Altar-, Chor oder Kapellenerker die Aufgabe, den Standpunkt eines Altares sichtbar zu machen.[5]Ulrich Stevens, Burgkapellen. Andacht, Repräsentation und Wehrhaftigkeit im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 222f. ff.

Fußnoten

Fußnoten
1 Benjamin Fourlas, Eine frühbyzantinische Silberschale mit der Darstellung des heiligen Theodor, in: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 55 (2008), S. 483–528, hier S. 509.
2 Eger, Christoph, Debellator Hostium. Zur Reiterdarstellung auf dem Scheibenknebel aus Puente Genil., 7.1.2016, [http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/volltexte/2007/32/]. (S. 6)
3 Nr. 513, in: Hermann Wäschke (Hrsg.), Regesten der Urkunden des herzoglichen Haus- und Staatsarchivs zu Zerbst. Aus den Jahren 1401 – 1500. Dessau 1909.
4 Johannes Baptist Aufhauser, Das Drachenwunder des heiligen Georg. Leipzig, München 1911, S. 89 f.
5 Ulrich Stevens, Burgkapellen. Andacht, Repräsentation und Wehrhaftigkeit im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 222f. ff.