Bildprogramm

Detail der Aufnahme aus dem Jahr 1929. Rote Markierung: Bildnisrelief in ursprünglicher Anordnung am südlichen Eckturm. (Quelle: "Das Land Anhalt / aufgenommen von der Staatlichen Bildstelle ; beschrieben von Ludwig Grote", Berlin, Deutscher Kunstverlag, 1929)

Alle Bildnisreliefs der dargestellten Fürsten befanden sich einst am zur Bauzeit frei stehenden südlichen Eckturm und wurden bei der Instandsetzung der 1930er-Jahre – teils durch Abgüsse ersetzt – auf beide Ecktürme verteilt. Ihre ursprüngliche Anordnung hat bereits Johann Christoph Beckmann beschrieben.[1]Beckmann 1999, S. 124. Im Zuge der neuzeitlichen Restaurierung der Fassade ergänzte der Bernburger Bildhauer Wolfgang Müller einzelne Teile und soll dabei angeblich sogar fehlende Modelle nach Vorlagen Lucas Cranachs des Älteren neu geschaffen haben.[2]Rüdiger 2008, S. 111. Einige der damals geborgenen Originalreliefs sind gegenwärtig im Keller des Bernburger Schlossmuseums zu besichtigen.

Eine in ihrer gestalterischen Komposition bisher einzigartige Relieftafel zeigt das Baumeisterbildnis Andreas Günthers neben einer allegorischen Darstellung mit konfessioneller Aussage und einem Textzitat aus dem Römerbrief 5,3, welches der ersten Bibelübersetzung Martin Luthers aus dem Jahre 1534 entnommen wurde.[3]Neugebauer 2011, S. 141. Diese vermutlich gut sichtbar an der hofseitigen Brüstung der „Leuchte“ angebrachte Widmung verleiht dem gesamten Gebäude den Charakter eines „steinernen Bekenntnisses“.

Relieftafel mit dem Selbstbildnis Andreas Günthers. Das Original befindet sich am Treppenaufgang im „Barocken Zwischenbau“ des Bernburger Schlosses. Das Foto zeigt die Kopie im Keller des Museums.

Zu Lebzeiten Martin Luthers und der dargestellten Fürsten entstand somit hoch über der Saale eine architektonische Inszenierung, die wesentliche Motive und Ideale der fürstlichen Trägergruppe der reformatorischen Bewegung medial hoch verdichtet zum Ausdruck brachte. Dieser Sachverhalt ist bemerkenswert, denn man kann sich durchaus vorstellen, dass die als Teilnehmer der imaginären Fürstenversammlung an der „Leuchte“ gezeigten Personen ihre dortige Darstellung zur Kenntnis nahmen und den Bauherren Fürst Wolfgang bei nächster Gelegenheit auch darauf ansprachen.

Die steinerne Fürstenversammlung: Wie reagierten die Dargestellten?
Oben: Georg III., Fürst von Anhalt-Dessau (1507-1553), unten: Joachim II. Hector, Kurfürst von Brandenburg (1505-1571). (Quelle: Kulturstiftung Bernburg 2005)
Oben: Joachim I., Fürst von Anhalt (1509-1561), unten: Wolfgang, Fürst von Anhalt (1492-1566). (Quelle: Kulturstiftung Bernburg 2005)
Oben: Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (1500- 1558), unten: Philipp I., Herzog von Braunschweig-Grubenhagen (1476- 1551). (Quelle: Kulturstiftung Bernburg 2005)
Oben: Johann Friedrich I., Kurfürst und Herzog von Sachsen (1503- 1554), unten: Johann Ernst von Sachsen (1521-1553). (Quelle: Kulturstiftung Bernburg 2005)

Während Fürsten wie Philipp I. von Braunschweig-Grubenhagen oder der sächsische Kurfürst Johann Friedrich offen als Protagonisten der reformatorischen Bewegung agierten, verhielt sich der ebenfalls dargestellte Kurfürst Joachim II. von Brandenburg vorsichtiger.[4]Stegmann.

Die „Leuchte“ entstand in einer Phase, in der die konfessionellen Gegensätze im „Obersächsischen Reichskreis“, dem auch die Anhaltiner zugeordnet waren, nach und nach verschwanden. Pommern (1534/35), die Mark Brandenburg (1539/40) und auch das albertinische Sachsen (1539) wandten sich der Reformation zu. Die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen verfolgten gleichzeitig eine Politik der Abschottung gegen das Reich.[5]Nicklas 2002, S. 64. Über dieses herrschten die zwei Habsburger Ferdinand I. als römisch-deutscher König und sein Bruder Karl V. als Kaiser. Der Konflikt mit den Türken beschäftigte die große Politik. Der König plante einen offensiven Reichskrieg zur Rückeroberung der türkisch besetzten Teile Ungarns und setzte dabei auch auf die Finanzmittel der Fürsten.[6]Nicklas 2002, S. 66 f. Vor diesem Hintergrund hofften die protestantischen Landesherren, Druck auf Kaiser Karl V. ausüben zu können. Auch dieser ist im Bernburger Bildprogramm vertreten. Die politische Brisanz der gezeigten Disposition lässt sich in Anbetracht dieser Konstellation vermutlich nur ansatzweise erahnen.

Eine Deutung des Kunsthistorikers Heiko Laß erschließt das Bildprogramm am Bernburger Wolfgangbau als Darstellung der Askanier inmitten ihrer fürstlichen Nachbarn.[7]Böhlk 2012, S. 15. Diese übernahmen ihre Titel und die damit verbundenen heraldischen Symbole, wie die Kurfürsten von Brandenburg oder die wettinischen Kurfürsten und Herzöge, zum Teil von den Askaniern. Zudem verbanden Fürst Wolfgang enge verwandtschaftliche Beziehungen mit den in das Bildprogramm einbezogenen Wettinern. Der dargestellte wettinische Herzog Johann Ernst war der Sohn seiner Schwester Margarete. Mit den Welfen – besonders den frühen Vertretern des Fürstentums Grubenhagen – traten die Askanier im Hochmittelalter in intensive Konkurrenzbeziehungen,[8]Ohnsorge 1959, S. 143. die das verwandtschaftliche Verhältnis beider Familien und ihre einstige Führungsrolle in der um 1500 kulturell immer noch ottonisch geprägten sächsischen Kernlandschaft an Harz, Elbe und Saale in das Bewusstsein riefen. Immerhin stellten die Askanier mit Mathilde von Brandenburg, die im Jahr 1228 den Welfen Otto I. (genannt „das Kind“) heiratete, die Stammmutter der jüngeren Zweige dieses Fürstenhauses.

Da enge Verwandtschaftsverhältnisse im Hochadel aber eher die Regel als die Ausnahme bildeten, forderte Laß, dieses Motiv nicht in den Vordergrund zu rücken oder das Bildprogramm als Anspruchsanmeldung auf ehemalige askanische Herrschaftsgebiete zu deuten. Eher käme darin eine „Selbstverherrlichung der Anhaltiner“[9]Freitag 2003, S. 14. zum Ausdruck.

Die „Leuchte“ – eine „vorweggenommene Gründungsurkunde des Landes Sachsen-Anhalt“?

Dennoch sind die im Bildprogramm der Bernburger „Leuchte“ repräsentierten geografisch-territorialen Bezüge für ein neues sächsisch-anhaltisches Bewusstsein in Sachsen-Anhalt äußerst interessant, verdeutlicht sich doch hier die Bedeutung der Askanier als Fundament, auf dem wichtige territoriale Bausteine, aus denen sich das heutige Bundesland zusammensetzt, gegründet sind. Somit repräsentiert der Wolfgangbau als zentraler Verknüpfungspunkt mittelalterlicher und frühneuzeitlicher askanischer Traditionsstiftung ein wesentliches Element des Memorialortes Bernburg. Laß führt dazu aus: „Die ‚Krone Anhalts‘ stellt mit der Leuchte auch einen für Sachsen-Anhalt einmaligen, wenn nicht den zentralen Identifikations- und Erinnerungsort für das ganze Bundesland bereit. Sie verweist auf die gemeinsamen Ursprünge aller Landesteile und zeigt den Beginn der Territorialbildung und Reformation in Sachsen-Anhalt und damit den Beginn der Staatlichkeit des gegenwärtigen Bundeslandes auf. In Bernburg steht sozusagen eine vorweggenommene Gründungsurkunde des Landes Sachsen-Anhalt, das eingebunden ist in ein größeres Deutschland. Das macht das Bernburger Schloss neben seinen künstlerischen Qualitäten und seiner historisch-politischen Bedeutung zu einer einmaligen Architektur in Sachsen-Anhalt und ganz Deutschland.“[10]Laß 2012, S. 45 f.

Fußnoten

Fußnoten
1 Beckmann 1999, S. 124.
2 Rüdiger 2008, S. 111.
3 Neugebauer 2011, S. 141.
4 Stegmann.
5 Nicklas 2002, S. 64.
6 Nicklas 2002, S. 66 f.
7 Böhlk 2012, S. 15.
8 Ohnsorge 1959, S. 143.
9 Freitag 2003, S. 14.
10 Laß 2012, S. 45 f.