Der gebundene Drache in der Bernburger Burgkapelle St. Pankratius

Die Macht des Gürtels

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Die am Bernburger Erkerfuß auftretende Darstellung der Lindwurmbindung mit dem Gürtel der Jungfrau ist bemerkenswert, da der Drachenkampf mit der Lanze und die Darstellung als Lanzenreiter dem heiligen Georg erst relativ spät zugelegt wurde. Die älteren in Westeuropa überlieferten Lebensschilderungen, wie beispielsweise das am Anfang des 10. Jahrhunderts wohl im Eifelkloster Prüm entstandene althochdeutsche Georgslied, kennen den bewaffneten Drachenkampf noch nicht.[1]Peter B. Steiner, Sankt Georg, der Ritter mit dem Drachen, in: Caspar Ehlers (Hrsg.), Deutsche Königspfalzen (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 11,6). Göttingen 2005, S. … Continue reading

Die Verbindung von Drachenkampf, Reiter und St. Georg geschah vermutlich durch die Übertragung des Bildmotivs des siegreichen Reiters auf den Heiligen. Die früheste Darstellung mit Lanze und Drachen findet sich deshalb nicht in der Literatur, sondern auf einem Siegel des Bamberger Domkapitels aus dem Jahr 1093[2]ebd., S. 272..

Bei der oben erwähnten von Aufhauser rekonstruierten ältesten griechischen Textfassung ringt St. Georg die Schlange hingegen allein durch das Gebet nieder und bindet sie anschließend, wozu er die Mithilfe der Jungfrau benötigt, die dafür ihren Gürtel zur Verfügung stellt. In diesen erzählerischen Kontext könnte die Bernburger Drachenskulptur eingeordnet werden.

Ikone 18. Jh. St. Georg tötet den Drachen mit der Lanze, die heilige Martha bindet den Drachen. Quelle: Joachim Schäfer, Ökumenisches Heiligenlexikon

Ikone 18. Jh. St. Georg tötet den Drachen mit der Lanze, die heilige Martha bindet den Drachen. Quelle: Joachim Schäfer, Ökumenisches Heiligenlexikon

Vitae Sanctorum [u.a.] - BSB Clm 14473 (12. und 13. Jh.) Die älteste literarische Überlieferung des Drachenwunders des Heiligen Georg. Markiert ist der Abschnitt: „Solve comas tuas et prebe mihi cordas tricarum tuarum." puella vero festinanter suis obtemperans mandatis dissolutis crinibus tradidit sancto, que postulaverat. beatus Georgius acceptis comarum redimiculis ligavit draconem et tradidit puelle dicens: „Accipe eum in nomine domini mansuetum et pium et humilem et perge secura." Deutsche Übertragung: „Löse Deine Haare und gib mir die Bänder Deiner Haare." Und das Mädchen gehorchte eilends seinem Befehl, löste ihre Haare und gab dem Heiligen, was er gefordert hatte. Der selige Georg nahm die Bänder der Haare, band den Drachen und übergab ihn dem Mädchen mit den Worten: „Nimm ihn im Namen des Herrn mild und fromm und demütig und gehe in Sicherheit." (Aufhauser, Johannes Baptist (1911): Das Drachenwunder des heiligen Georg, S. 191) Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (Bayerische Staatsbibliothek CC BY-NC-SA 4.0)

Vitae Sanctorum [u.a.] – BSB Clm 14473 (12. und 13. Jh.) Die älteste literarische Überlieferung des Drachenwunders des Heiligen Georg. Markiert ist der Abschnitt: „Solve comas tuas et prebe mihi cordas tricarum tuarum.“ puella vero festinanter suis obtemperans mandatis dissolutis crinibus tradidit sancto, que postulaverat. beatus Georgius acceptis comarum redimiculis ligavit draconem et tradidit puelle dicens: „Accipe eum in nomine domini mansuetum et pium et humilem et perge secura.“ Deutsche Übertragung: „Löse Deine Haare und gib mir die Bänder Deiner Haare.“ Und das Mädchen gehorchte eilends seinem Befehl, löste ihre Haare und gab dem Heiligen, was er gefordert hatte. Der selige Georg nahm die Bänder der Haare, band den Drachen und übergab ihn dem Mädchen mit den Worten: „Nimm ihn im Namen des Herrn mild und fromm und demütig und gehe in Sicherheit.“ (Aufhauser, Johannes Baptist (1911): Das Drachenwunder des heiligen Georg, S. 191) Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (Bayerische Staatsbibliothek CC BY-NC-SA 4.0)

In der ältesten real überlieferten literarischen Schilderung des Drachenwunders, einer lateinischen Handschrift aus dem 12. Jahrhundert,[3]Bayerische Staatsbibliothek clm 14473 http://bildsuche.digitale-sammlun-gen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00069384&pimage=10&v=100&nav=&l=de%20%C2%A0 wird die Bindung des Drachens in der deutschen Übersetzung in etwas abgewandelter Form geschildert:

„[…] und das Mädchen schrie von Schrecken erfasst mit lauter Stimme:
‚Herr fliehe, denn siehe der schlimme Drache naht.‘ Da schützte sich der hl. Georg mit dem Zeichen des Kreuzes, lief ihm entgegen und sprach:
‚Herr Jesus Christus verleihe mir Deine Kraft, dass ich heute den Kopf dieses Drachen zertrete und alle erkennen, dass Du mit mir bist und Deinen in Ewigkeit gepriesenen Namen loben.‘
Auf dies Wort hin kam der Drache wie ein zahmes Schaf […] und warf sich frei von aller Wildheit zur Erde zu seinen Füßen.
Und der Heilige sprach zum Mädchen: ‚Löse Deine Haare und gib mir die Bänder Deiner Haare.‘
Und das Mädchen gehorchte eilends seinem Befehl, löste ihre Haare und gab dem Heiligen, was er gefordert hatte.
Der selige Georg nahm die Bänder der Haare, band den Drachen und übergab ihn dem Mädchen mit den Worten: ‚Nimm ihn im Namen des Herrn mild und fromm und demütig und gehe in Sicherheit.‘“[4]Johannes Baptist Aufhauser, Das Drachenwunder des heiligen Georg. Leipzig, München 1911, S. 191.

Diese Textfassung (Verwendung des Haarbandes) fand aber wohl keine weite Verbreitung. Ganz anders erging es der Schilderung des Drachenkampfes in der um 1264 entstandenen „Legenda aurea“ des Jacobus de Voragine, die sich bald als Abschrift in zahlreichen Klosterbibliotheken finden sollte.[5]ebd., S. 195. Dort tritt der Lanzenkampf des Heiligen Georgs schon als prägendes Element auf. Die Bindung des Drachens wird durch die Jungfrau selbst ausgeführt:

„Da sprach das Mädchen zitternd:
„Fliehe, guter Herr, fliehe rasch!“
Da schwang sich Georg auf sein Pferd, bezeichnete sich mit dem Zeichen des Kreuzes, griff den gegen ihn kommenden Drachen mutig an und, indem er die Lanze wuchtig schwang und sich Gott befahl, verletzte er ihn stark und warf ihn zur Erde nieder.
Und er sprach zum Mädchen:
„Wirf Deinen Gürtel um den Hals des Drachen und zweifle nicht!“
Als sie dies getan hatte, folgte ihr das Tier wie ein ganz zahmer Hund.“[6]ebd., S. 210.

Historische Postkarte von der Prozession beim Tarasquefest in der südfranzösische Stadt Tarascon. Quelle: Wikipedia

Historische Postkarte von der Prozession beim Tarasquefest in der südfranzösische Stadt Tarascon. Quelle: Wikipedia

Eine eigenständige Form nimmt die Geschichte von der Drachenbindung durch den Gürtel einer Jungfrau in einer von der Heiligen Martha von Bethanien handelnden Wundererzählung an. Sie soll den menschenfressenden Drachen Tarasque in der Nähe der Stadt Tarascon mit Kreuzzeichen und Weihwasser – beziehungsweise Weihrauch – gebändigt und an ihrem Gürtel nach Arles geführt haben.[7]Joachim Schäfer, Artikel Martha von Bethanien, aus dem Ökumenischen Heiligenlexikon, 2003, [https://www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Martha_von_Bethanien.html], eingesehen 5.1.2016. In der Stadt an der Rhône wird deshalb noch heute jedes Jahr zu Pfingsten das Tarasquefest gefeiert. Das Gesicht des dort aus diesem Anlass gezeigten Drachens erinnert mit seinen Zähnen und den großen Augen an die Bernburger Drachenfigur.

Niccolò di Cecco del Mercia. Übergabe des heiligen Gürtels an den Apostel Thomas (1357-1360), Prato, Museo dell'Opera del Duomo Quelle: Wikipedia, sailko, CC BY-SA 3.0

Niccolò di Cecco del Mercia. Übergabe des heiligen Gürtels an den Apostel Thomas (1357-1360), Prato, Museo dell’Opera del Duomo Quelle: Wikipedia, sailko, CC BY-SA 3.0

"Schlangengöttin" oder eine Priesterin bei der Durchführung eines entsprechenden Rituals, aus dem Palast von Knossos (Quelle Wikipedia, Chris 73, CC BY-SA 3.0)

„Schlangengöttin“ oder eine Priesterin bei der Durchführung eines entsprechenden Rituals, aus dem Palast von Knossos (Quelle Wikipedia, Chris 73, CC BY-SA 3.0)

Die Bindung des Bösen stellt ein sehr altes mythologisches Motiv dar. Bei der Drachenbindung mit dem Gürtel einer Jungfrau fallen unterschiedliche Elemente zusammen. Dabei ist zu beachten, dass die Schlange ein bedeutendes interkulturelles Attribut aller großen Natur- und Muttergöttinnen darstellt. Schlangengürtel spielten als Teil der kultischen Kleidung eine wichtige Rolle. Die Herrschaft der Muttergöttin über die Schlange kommt auch in der Tatsache zum Ausdruck, dass die Heilige Jungfrau Maria den Kopf des als Schlange dargestellten Satans zertritt.[8]Schopphoff, Claudia, Der Gürtel. Funktion und Symbolik eines Kleidungsstücks in Antike und Mittelalter (Pictura et poesis 27), Köln 2009, S. 135 Der „Gürtel der Seligen Jungfrau Maria“, den Maria selbst angefertigt haben soll, gilt als eine der bedeutendsten Marienreliquien. Die Wirkung des Jungfrauengürtels beim Drachenkampf erinnert an die Wunderkraft des Gürtels der heiligen Jungfrau Maria.

Westempore in der Stiftskirche Frose

Westempore in der Stiftskirche Frose

Der Georgsaltar macht die Bernburger Herrschaftsempore zu einer herzoglichen Hauskapelle. So tritt die Hecklinger Kombination St. Georg und St. Pankratius auch in Bernburg an einem höchst exklusiven Ort mit engem Bezug zum sächsischen Herzogtum auf. Bei dem für die Bernburger Burgkapelle ebenfalls belegten Nebeneinander von einem Marien- und einem Georgsaltar muss auch an die Rolle als Kreuzzugheiliger gedacht werden. Eine vergleichbare Doppelfunktion von Herrschaftsempore und Hauskapelle findet sich auch bei der romanischen Kirche in Groß Rosenburg, die als Eigenkirche des dort ansässigen Adelsgeschlechts angesprochen werden kann. In Groß Rosenburg ist die Herrschaftsempore in den Westturm integriert. Der Erdgeschossraum öffnet sich dort, wie auch in Bernburg, mit zwei Bögen und einem Mittelpfeiler zum Kirchenschiff. Einen guten Eindruck einer solchen Westempore vermittelt auch die Stiftskirche in Frose.

Die Bernburger Darstellung der Drachenbindung im Umfeld der romanischen Kapelle der herzoglichen Burg Bernhards von Sachsen bildet ein herausragendes Zeugnis für die Entwicklung der Georgslegende und ihrer ikonografischen Darstellung im 12. Jahrhundert.

Sie stellt einen seltenen und frühen Beleg für die Tatsache dar, dass im 12. Jahrhundert die Bindung des Drachens noch eine herausragende Rolle in der Drachenkampf-Legende des heiligen Georg einnahm. Erst zu einem späteren Zeitpunkt verblasste die Bedeutung der Drachenbindung mit dem Gürtel der Jungfrau gegenüber dem sich am ritterlichen Ideal orientierenden Motiv des Lanzenkampfes.

Bernburg. St. Pankratius. St. Georgsdrache

Bernburg. St. Pankratius. St. Georgsdrache

Es bleibt zu hoffen, dass der Bernburger St. Georgsdrache als überregional bedeutendes romanisches Kunstwerk bald eine seiner Rolle entsprechende Würdigung erfährt und der Bestand der Skulptur durch denkmalpflegerische Maßnahmen dauerhaft gesichert wird.

Fußnoten

Fußnoten
1 Peter B. Steiner, Sankt Georg, der Ritter mit dem Drachen, in: Caspar Ehlers (Hrsg.), Deutsche Königspfalzen (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 11,6). Göttingen 2005, S. 265–296, hier S. 266.
2 ebd., S. 272.
3 Bayerische Staatsbibliothek clm 14473 http://bildsuche.digitale-sammlun-gen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00069384&pimage=10&v=100&nav=&l=de%20%C2%A0
4 Johannes Baptist Aufhauser, Das Drachenwunder des heiligen Georg. Leipzig, München 1911, S. 191.
5 ebd., S. 195.
6 ebd., S. 210.
7 Joachim Schäfer, Artikel Martha von Bethanien, aus dem Ökumenischen Heiligenlexikon, 2003, [https://www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Martha_von_Bethanien.html], eingesehen 5.1.2016.
8 Schopphoff, Claudia, Der Gürtel. Funktion und Symbolik eines Kleidungsstücks in Antike und Mittelalter (Pictura et poesis 27), Köln 2009, S. 135