In der „Filterblase“?

Sehr geehrte Frau Hartkopf,

danke für Ihre Einladung zur Sitzung der Arbeitsgruppe „Bildung, Kultur und Soziales“ am 14.11.2017.

Bevor man Stadtkultur vermarkten will, sollte man sie zunächst erst einmal — auch bei der Stadtplanung — besitzen!

Ich möchte diesen Text als Meinungsäußerung zur Diskussion über die Zukunftsplanung in Bernburg verstanden wissen. Ein offener und ehrlicher Austausch, unter demokratischer und transparenter Einbeziehung der Bürgerschaft, und ein — unter besonderer Berücksichtigung der Teilhabe benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen geführter — INTEGRIERENDER und selbstkritischer Diskurs zur zukünftigen Übernahme von Verantwortung sind in Bernburg dringend überfällig!

Stadtplanung in der „Filterblase“?

Meiner Meinung nach fand die dem Stadtentwicklungskonzept (SEK) 2001 vom 19.12.2001 folgende Stadtplanung in Bernburg in einer immer enger werdenden „Filterblase“ statt: Die sich nach 2001 offenbar durchsetzende Auffassung, dass Stadtentwicklungskonzepte vor allem der Erstellung von Texten dienen, die gegenüber den Vorgaben städtebaulicher Förderprogramme möglichst konform sind, hat dazu geführt, dass keines der seit 2001 erarbeiteten Papiere die Zukunftsprobleme unserer Heimatstadt ernsthaft – das heißt auf kleinteiliger sozioanalytischer Basis und unter integrativer Bürgerbeteiligung – thematisiert.

Die in den nach 2001 erstellten Texten zum Ausdruck gebrachte Auffassung von „Stadtkultur“ erinnert erstaunlich an den technokratisch und autoritär geprägten institutionalisierten Kulturbegriff der ehemaligen DDR (zur Sprachkultur siehe mein im Internet verföffentlichter Artikel „Fokus Saale eine kritische Stellungnahme“): Eine herrschaftliche „Sprache der Machbarkeit“ lässt städtischer „Lebenskultur“, im Sinne einer bürgerschaftlichen Mitwirkungs- und Teilhabekultur, keinen Raum. Aus dieser Feststellung heraus stellt sich für mich die Frage, welches Kulturverständnis bei der aus dem Halleschen Bezirksbüro für Städtebau und Architektur der DDR hervorgegangenen und für die Erarbeitung der Bernburger Stadtentwicklungskonzepte zwischen dem Jahr 2002 und 2013 federführend verantwortlichen SALEG (Sachsen-Anhaltinische Landesentwicklungsgesellschaft mbH) herrscht und welche Aussagefähigkeit den unter einem solchen Verständnis erstellten Stadtentwicklungskonzepten in Bezug auf die tatsächliche soziale Entwicklung der Stadt Bernburg überhaupt zukommt. Dennoch stand es offenbar von vornherein außer Frage, dass die in der SALEG-Planung verkörperte Auffassung von „Stadtkultur” auch beim gegenwärtigen Stadtplanungsprozess zur Erstellung eines (I?)SEKs 2030 – ohne eine grundlegende und kritische Hinterfragung – als Basis dienen soll.

Planungskultur im Geiste des Programms „Schöner unsere Städte und Gemeinden“?Beteiligungskultur im Geiste der „Nationale Front“ der DDR?

Um diese Kontinuität zu ermöglichen, wird beim gegenwärtigen Planungsprozess kräftig „gefiltert“. Bereits das Ablaufschema zur Erstellung eines (I?)SEK 2030 enthält eine eingebaute „Filter-Station“ zur inhaltlichen Kontrolle, um die Möglichkeit eines ergebnisoffen geführten Planungsprozesses bereits im Keim zu verhindern. Die Beteiligung der Bürgerschaft mit nur EINER öffentlichen Veranstaltung zur allgemeinen Themenfindung (nicht zu verwechseln mit den Arbeitsgruppensitzungen „handverlesener“ institutioneller Teilnehmer, den sogenannten „Trägern öffentlicher Belange“) entspricht meines Erachtens nicht dem Ansinnen einer um gesellschaftliche Integration und Teilhabe bemühten Stadtplanung. Eher erinnert mich die nun praktizierte Reduzierung der Beteiligten auf einen Kreis von geladenen Vertretern institutionalisierter Akteure an die im Rahmen der „Nationalen Front“ in der DDR praktizierten Organisation von gesellschaftlicher Partizipation. Dazu passt dann auch die hegemoniale — also den Diskurs beherrschende — Stellung einiger aus dem Umfeld der städtischen Verwaltung oder ihr nachgeordneter Einrichtungen stammender Funktionäre, die den gesamten Planungsprozess inhaltlich durchgängig und offenbar völlig unabhängig von fachlicher Kompetenz „lenken“ können. Das hier gewählte Beispiel (siehe „Geburtenstation“ weiter unten) zeigt, dass das beteiligte Planungsbüro gegenüber dieser dominanten Machstellung offenbar nicht als „Anwalt zur Sicherung der Beteiligungungskultur“ agieren möchte, indem es der Einflussnahme widerspricht und das wichtige Fachthema „Geburtenstation“ zur weiteren Diskussion an die zuständige Arbeitsgruppe „Bildung, Kultur und Soziales“ überweist.

Planen im abgeschlossen Raum? Wo bleibt die zur Teilhabe motivierende Öffentlichkeitsarbeit?

Im Amtsblatt der Stadt Bernburg spielt die aktive Begleitung des gegenwärtigen ISEK-Prozesses keine Rolle. Hier erfolgte bisher weder eine regelmäßige Berichterstattung noch eine Ankündigung der Sitzungen der Arbeitsgremien. Auch auf der Webseite der Stadt Bernburg lässt sich der Prozess nicht in einfacher Weise verfolgen. So existiert dort zu den Themen „ISEK“, „Stadtentwicklungskonzept“, „Stadtentwicklung“ oder „Stadtplanung“ kein Menüpunkt (Stand der Prüfung 09.11.2017).

Dieses fehlende Engagement zur Öffentlichkeitsarbeit spiegelt sich in dem ausbleibenden Interesse der Bürgerschaft wider. Anstatt nun aber die mangelhafte Beteiligung an der „Auftaktveranstaltung“ am 22.04.2017 zum Anlass zu nehmen, die Anstrengungen für eine Motivation zur integrativen Mitgestaltung durch wirksame und aufmunternde Öffentlichkeitsarbeit zu erhöhen, hakte man das Kapitel „öffentliche Diskussion“ offenbar pflichtgemäß ab: Das „Soll“ EINER Veranstaltung wurde erfüllt – mehr Öffentlichkeit braucht es offenbar zur Initiierung der Planung eines integrierten Stadtentwicklungskonzeptes in den Augen der Verantwortlichen nicht!

Eine ebensowenig transparent wie öffentlichkeitswirksam ausgewertete „Haushaltsbefragung“ und die willkürlich erscheinende Zusammenstellung der „Lenkungsgruppe“ und ihr inhaltlich nachgeordneter Arbeitsgruppen (Wie werden hier Bürger beteiligt, die keiner Institution oder Partei angehören?) charakterisieren die Fortschreibung der bisher in Bernburg „erprobten“ Planungskultur.

Die „Filterblase“ in Aktion: Der Wunsch nach Wiedereinrichtung einer Geburtenstation

Das Wesen integrativer Stadtplanung liegt meiner Meinung nach darin, möglichst alle Einwohner einer Stadt – unabhängig von ihrer Verankerung in Institutionen und politischen Vertretungen – in eine motivierende Kommunikation über die Zukunft ihres Gemeinwesens einzubeziehen. Es geht darum, verdeckte Konfliktlinien zu erkennen, Lösungsdiskussionen konstruktiv zu moderieren und so einen Konsens über eine gemeinsame Zukunft unter den Bürgern herzustellen, um deren Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme im genossenschaftlich organisierten Lebensraum „Stadt“ zu erhöhen. Von diesem Anspruch hat sich die Stadtplanung in Bernburg inzwischen um Lichtjahre entfernt!

Wie die „Filterblase“ ganz aktuell erzeugt wird, lässt sich gut aus dem unten beigefügten Protokollauszug zum Thema „Wunsch nach Wiedereinrichtung einer Geburtenstation“ nachvollziehen. Offenbar waren „aus dem Bauch heraus“ hervorgebrachte Äußerungen von Herrn Dittrich, Herrn Schütze und Herrn Bieling und nicht die Expertise von Fachleuten, die Wünsche der Einwohnerschaft oder das Ergebnis nachvollziehbarer wissenschaftlicher Analysen auf einer zuvor erhobenen Datenbasis dafür ausschlaggebend, dass Herr Westermann (Büro Stephan Westermann) das Thema „Geburtenstation“ in einem Akt vorauseilenden Gehorsams von der Aufgabenstellung jener Arbeitsgruppensitzung gestrichen hat, zu der Sie mich nun eingeladen haben (siehe Protokollauszug unten). Dass gegenüber dem, in Anbetracht des demografischen Wandels absolut verständlichen, „Wunsch nach Wiedereinrichtung einer Geburtenstation“ in der Kreisstadt Bernburg das Totschlagargument des „Populismus“ unwidersprochen in Stellung gebracht werden kann und schließlich, als Teil der Diskussion, mit der Löschung des Anliegens akzeptiert wird, verdeutlicht eine unzulässige – weil politisch-ideologisch motivierte und somit zensurähnliche – inhaltliche Einflussnahme der „Lenkungsgruppe“.

Es stellen sich somit für mich die Fragen:

Welches Selbstverständnis besitzt die „Lenkungsgruppe“? Versteht sie sich als „Filter“ oder als „Verteiler“? Sollte es nicht den zuständigen Facharbeitsgruppen überlassen werden, über welche ihnen fachlich zuzuordnenden Themen sie zu diskutieren und schließlich zu entscheiden haben?

Welchen Sinn machen Facharbeitsgruppen, wenn bereits die „Lenkungsgruppe“ – über alle fachlichen Bereiche hinweg – entscheidet?

Der protokollarisch dokumentiere Arbeitsstil der „Vorfilterung“ ist kennzeichnend für die Bernburger Stadtplanung der vergangenen Jahre: Es ging offenbar nie darum, einen schonungslos ehrlichen, integrierten und INTEGRIERENDEN Stadtplanungsprozess als Chance zur motivierenden Kommunikation zwischen allen Bürgern der Stadt (auch gerade unter Einbeziehung benachteiligter sozialer Gruppen) über ihre gemeinsame Zukunft zu begreifen, sondern ihn als unliebsame „Pflichtaufgabe“ möglichst geräuschlos „abzuwickeln“, um schließlich nachweisen zu können, dass man die geforderten Fördervoraussetzungen erfüllt!

Stadtkultur praktisch? „Lohelandhaus“ gegen „Kaiser-Wilhelm-Klo“: Willkürliche Auslegung von stadtplanerischen Zielvereinbarungen und diskussionswürdige Verwendung von Mitteln aus dem Förderprogramm „Soziale Stadt“

Auswüchse, wie die überwiegend aus Mitteln des Programms „Soziale Stadt“ finanzierte Erbauung eines im Geist von „repräsentativer Herrschaftsarchitektur“ im historistischen Disneyland-Stil errichteten Klogebäudes auf dem Karlsplatz, während das benachbarte  überregional bedeutsame Denkmal der Moderne und der bürgerschaftlich-sozialen Reformbewegung „Lohelandhaus“ zugunsten eines dort geplanten Parkplatzes (!) aus dem Stadtbild getilgt werden soll, kennzeichnen einen zentralen Wesenszug der durch die „Stadtplanung in der Filterblase“ gesteuerten „offiziellen“ Bernburger Stadtkultur, denn die planerische Selbstentfremdung führt letztlich zur Umwandlung der Stadt in eine Kulisse. Die dieses „kulissenhafte“ und an das Ideal der Wilhelminische Epoche erinnernde „Idyll der braven Bürger“ störenden soziokulturellen Probleme der Gegenwart werden verdrängt und städtebaulich ausgeblendet. Der alltägliche Vandalismus in Bernburg zeigt, dass diese Rechnung nicht aufgehen kann!

Der drohende Abriss des Bernburger „Lohelandhauses“ macht deutlich, dass Zielvorgaben, wie die im Stadtentwicklungskonzept 2009, S. 30 vereinbarte Schaffung eines „Lernorts für bürgerschaftliches Engagement“ zur Erprobung von „Teilhabe an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen“ im Stadtpark „Alte Bibel“ jederzeit spontan geopfert werden, wenn es einigen einflussreichen Entscheidungsträgern notwendig erscheint.

Es ist deshalb äußerst bedauerlich, dass der für den gegenwärtigen Planungsprozess eingestellte Betrag von 120.000,00 € (Informationsvorlage Nr. IV 114/16) nicht dazu verwendet wird, das Nachdenken über die Zukunft unserer Heimatstadt Bernburg zu einer Integrationsstiftenden Gemeinschaftsaufgabe zu machen. 

Sollten sich die Verantwortlichen zu einer grundsätzlichen Änderung ihrer Arbeitsweise bei der Stadtplanung, hin zu einer ehrlichen, gewinnenden und integrativen Planungskultur, bereit sehen, würde ich mich gern mit meiner stadtgeschichtlichen Expertise in einen dann den Namen INTEGRATIV auch verdienenden gestalterischen Kommunikationsprozess über die Zukunft unserer Heimatstadt einbringen. An einem „gefilterten“ Alibi-Stadtplanungs-Programm zur Beschaffung von Kapital zur Realisierung einer die sozialen Probleme überdeckenden städtebaulichen „Kulisse“ in Bernburg möchte ich mich nicht beteiligen.

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Böhlk

Anlage

Auszug Ergebnisprotokoll der 2. Lenkungsgruppensitzung „Integriertes Stadtentwicklungskonzept Bernburg“ vom 11. Juli 2017, S. 3, Arbeitsgruppe 3, Thema: Wunsch nach „Wiedereinrichtung einer Geburtenstation“

„Herr Dittrich hält die Wiedereinrichtung einer Geburtenstation in Bernburg für unrealistisch. Herr Buhmann meint, dass das Thema durchaus auf die Tagesordnung bei der Erarbeitung des ISEK gehört, wenn es von den Bürgerinnen und Bürgern gewünscht wird. Herr Schütze plädiert dafür, keine populistischen Forderungen aufzumachen. Die Entscheidung ist aus seiner Sicht weder kommunal beeinflussbar noch revidierbar. Herr Bieling merkt an, dass die nächste Geburtenstation gerade 15 km entfernt ist und selbst vor Ort die nötigen medizinischen Kompetenzen für den Ernstfall vorhanden sind. Er plädiert dafür das ISEK realistisch auszurichten. Herr Westermann schlägt als Resümee aus der Diskussion vor, das Thema Geburtenstation aus der Aufgabenstellung für die Arbeitsgruppe 3 zu streichen.“

Online verfügbar unter der Adresse: http://www.bernburg.de/media/artikel/1005558-protokoll-der-1-lenkungsgruppensitzung-d/protokoll_2.lg_bbg_11.07.17.pdf