Bürger werden nicht mitgenommen – Leserbrief zum MZ-Beitrag “Stadt zieht Konzept zurück”

Bürger werden nicht mitgenommen

Leserbrief zum MZ-Beitrag “Stadt zieht Konzept zurück” vom 17. Dezember 2013, veröffentlicht in der MZ-Lokalausgabe vom 31.12.2013 auf Seite 13

[Anmerkung: Die rot gekennzeichneten Bereiche wurden in der gedruckten Fassung nicht veröffentlicht.]

Die Weihnachtszeit ist ja bekanntlich die Zeit der Geheimnisse und Überraschungen. Am 3. Dezember ging bei den Stadträten ein Umschlag ein. Wer ihn auspackte, erblickte ein 74 Seiten starkes Papier mit dem Arbeitsstand 2. Dezember, auf dem ISEK stand. Die Abkürzung bedeutet “Integriertes Städtebauliches Entwicklungskonzept”. Nur wenige Tage später, am 12. Dezember, sollte dieses Papier im Stadtrat beschlossen werden.

Dieses ISEK ist nicht unwichtig, denn eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern legt seit 2012 fest, dass jede Stadt, die Finanzhilfen des Bundes erhalten möchte, ein solches Konzept vorweisen soll. Weiterhin schreibt diese Vereinbarung vor, dass dieses Konzept “unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger” erstellt werden muss! Bürgerbeteiligung heißt, laut der entsprechenden Arbeitshilfe des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, dass die Bürger zu dem Zeitpunkt beteiligt werden sollen, “wenn im Rahmen des wirtschaftlich und rechtlich Realisierbaren noch Entscheidungsspielräume vorhanden sind.” Doch wer war in Bernburg überhaupt an der Erstellung dieses Papiers beteiligt, das dem Stadtrat zum Beschluss vorgelegt wurde? Eine Person, die als Autor und Ansprechpartner dienen könnte, wird im Impressum nicht erwähnt. Ganz unverständlich ist, dass noch nicht einmal das Stadtplanungsamt, trotz seines Namens, den Inhalt kennt! Wurde das Kultur-, Jugend- oder Sozialamt eingebunden, die Kirchen, Vereine und Verbände, die Hochschule oder andere Bildungsträger? Wer plant hier die Zukunft unserer Stadt und wer sind die vielgenannten “Akteure” der Stadtentwicklung? Handelt es sich dabei um eine verschwiegene Stammtischrunde? Oder waren vielleicht, passender zur Jahreszeit, die Wichtel des Weihnachtsmanns am Werk?

Spaß beiseite! Was wird aus Ihren Ausgleichsbeiträgen und Gebühren? Interessiert es Sie nicht, wie es mit dem Millionenprojekt Schloss weitergeht, für dessen Realisierung sich die Stadtverwaltung nun verantwortlich gemacht hat? Wo entstehen in Zukunft Parkplätze und zu welchem Preis? Soll etwa der Lohelandgarten, Bernburgs mögliche Eintrittskarte für einen Exklusivplatz beim Bauhausjubiläum 2019, wirklich einem solchen Parkplatz geopfert werden und war mit “Aktivpark” gemeint, dass Autos dann über die Gräber der Alten Bibel fahren? Oberbürgermeister Schütze wurde in einem Artikel der MZ vom 14. Juli 2011, kurz, nachdem Fokus Saale -­‐ OHNE Bürgerbeteiligung -­‐ den Stadtrat passierte, mit folgenden Worten zum Thema Öffentlichkeitsbeteiligung zitiert: „öffentliche Diskussion ja, aber zum richtigen Zeitpunkt.“ Dieser Zeitpunkt scheint immer noch nicht gekommen zu sein, auch wenn es der Bund nun fordert.

Welche Häuser der “Freiheit” werden nun abgerissen und wie sollen damit der Altstädter Markt und der Saalplatz wieder zum Leben erweckt werden? Wird für das Wohnen junger Menschen im Zentrum genau so viel öffentliches Geld ausgegeben wie für Investorenprojekte im Pflegebereich? Braucht Bernburg den vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz geforderten Umflutkanal oder doch besser ein Erdmännchen-Gehege?

Während die Verwaltungen anderer Städte sich bis zu einem Jahr für die Erstellung eines ISEK Zeit nehmen, um mit den Bürgern über die Zukunft ihrer Stadt in Dialog zu treten, ticken die Uhren in Bernburg anders.

Wie heißt es doch so schön an der Wand des Bernburger Ratssaales: “Die Stadt ist nicht fest durch Mauer und Stein. Durch Bürgertugend kann sie’s nur sein.” Genauso ist es!

Olaf Böhlk, Bernburg